Neue Koalition in der Ukraine

Bündnis aus Sozialisten, Kommunisten und der Partei des Exregierungschefs Wiktor Janukowitsch soll künftig in Kiew regieren. Schlägereien im Parlamentsgebäude

BERLIN taz ■ Für den ukrainischen Präsidenten Wiktor Juschtschenko dürfte gestern ein rabenschwarzer Tag gewesen sein. Gegen Mittag gab der Parlamentspräsident und Sozialist Alexander Moros die Bildung einer Regierungskoalition bekannt. Dem neuen Bündnis, das sich auf 238 von 450 Abgeordneten stützen kann, werden außer der Partei der Regionen des ehemaligen Regierungschefs Wiktor Janukowitsch die Sozialistische sowie die Kommunistische Partei angehören. Als Premierminister schlugen die Koalitionäre Wiktor Janukowitsch vor.

Sollte dessen Kandidatur bestätigt werden, käme wieder ein Mann an die Macht, der demokratische Spielregeln bislang recht kreativ auslegte. So fälschte Janukowitsch, der seine Unterstützer vor allem im Osten und Süden des Landes hat, dreist die beiden Runden der Präsidentenwahlen 2004. Auch scheute er sich nicht, den ukrainischsprachigen Westen und den russischsprachigen Osten gegeneinander auszuspielen. Erst mit wochenlangen Protesten, der „Orangene Revolution“, erzwangen Hunderttausende eine Wiederholung der Stichwahl, bei der Janukowitsch seinem Widersacher Wiktor Juschtschenko am 25. Dezember 2004 unterlag.

In der Folgezeit überwarfen sich die orangenen Revolutionäre – im September 2005 enthob Juschtschenko Julia Timoschenko ihres Postens als Regierungschefin. Bei den Parlamentswahlen im März dieses Jahres wurde die Partei der Regionen mit 32,1 Prozent stärkste Kraft, gefolgt vom Block Julia Timoschenkos (BJUT) mit 22,3 Prozent und dem Bündnis Unsere Ukraine von Präsident Wiktor Juschtschenko mit 13,9 Prozent.

Nach monatelangen Verhandlungen und einem unwürdigen Postengeschacher sah es am 22. Juni so aus, als würde doch noch ein orangenes Regierungsbündnis aus BJUT, Unsere Ukraine und den Sozialisten unter Julia Timoschenko als Regierungschefin zustande kommen. Doch hatten die Beteiligten ihre Rechnung ohne den Sozialistenchef Alexander Moros gemacht. Der hatte auch schon in früheren Legislaturperioden wenig Berührungsängste, wenn es darum ging, mal mit den präsidententreuen Parteien und mal mit der Opposition zu stimmen. Am vergangenen Donnerstag ließ sich Moros mit den Stimmen der Janukowitsch-Partei, der Sozialisten und Kommunisten zum Parlamentspräsidenten wählen. Einen Tag später wurde die „Antikrisenkoalition“ angekündigt.

Angesichts dieser Winkelzüge und einer Anfang des Jahres in Kraft getretenen Verfassungsreform, die die Kompetenzen des Präsidenten zugunsten des Regierungschefs beschränkt, tappen auch Experten im Dunkeln. „Derzeit können auch Juristen nicht die Frage beantworten, ob der Präsident die Möglichkeit hat, einen Vorschlag für den Posten des Regierungschefs abzulehnen“, sagt der Präsident des Zentrums für Sozialstudien „Sofia“, Andrei Ermoljew. Auch Staatschef Juschtschenko scheint bisweilen den Überblick zu verlieren. Mal spricht er von der Möglichkeit einer Parlamentsauflösung, mal besteht er darauf, dass das Parlament endlich die noch vakanten Posten im Verfassungsgericht besetzen müsse, bevor er er eine neue Regierung billigen werde.

Was Demokratie auf Ukrainisch auch bedeutet, war gestern im Parlament zu besichtigen. Ab 7 Uhr morgens hatten sich Abgeordnete der Janukowitsch-Partei postiert, um zu verhindern, dass BJUT-Abgeordnete, wie am Vortag angekündigt, die Rednertribüne blockieren. Vor der Sitzung kam es im Parlamentsgebäude zu zwei Schlägereien zwischen Abgeordneten verschiedener Parteien. Gestern Mittag kündigte Anatoli Matwienko, Abgeordneter von Unsere Ukraine, eine Klage gegen Alexander Moros an. Der habe die bisherige Koalition demokratischer Kräfte illegitimerweise für aufgelöst erklärt. Deshalb dürfe der Präsident die neue Koalition keinesfalls anerkennen. „Jetzt haben wir zwei Koalition im Parlament. Die Legitimität der zweiten geht gegen null“, sagte er.

BARBARA OERTEL