Fehlermeldung beim Suchbegriff „Steueroase“

ZENSUR Auf Berichte über Konten der Machtelite antwortet China mit einer Medienblockade

Auch die Webseiten der „Süddeutschen Zeitung“ und des NDR sind nicht erreichbar

Das hat es auch in China noch nicht gegeben. Zwei Drittel des gesamten chinesischen Internets war am Dienstag über viele Stunden hinweg plötzlich blockiert. Mindestens 200 Millionen Chinesen hatten keinen Zugriff mehr. Eine offizielle Begründung wurde nicht genannt. Die amtliche Nachrichtenagentur Xinhua sprach lediglich von einem „vermuteten Hacker-Angriff“. Einen Tag darauf glauben einige Nutzer den Grund zu kennen: Sie mutmaßen einen Zusammenhang mit den jüngsten Enthüllungen über das angebliche Milliardenvermögen chinesischer Politikerfamilien und Geschäftsleute in Steueroasen auf karibischen Inseln.

So abwegig ist diese Vermutung nicht. Denn ebenfalls seit einigen Tagen ist die Webseite des britischen Guardians nicht mehr abrufbar, seit dem frühen Mittwochmorgen auch die Webseiten der Süddeutschen Zeitung und des NDR nicht. Alle drei Medien gehörten zu denen, die als Erstes über die veröffentlichten Offshore-Leaks berichtet hatten. Offenbar waren die chinesischen Zensurbehörden vorgewarnt.

Journalisten des Internationalen Konsortiums für Investigativen Journalismus (ICIJ) haben enthüllt, dass Chinas Führungselite seit Jahren in Steueroasen in der Karibik Vermögen hortet, darunter auch der Schwager des amtierenden Präsidenten Xi Jinping und die Söhne des früheren Premierministers Wen Jiabao.

Dabei vergeht derzeit kaum ein Tag, an dem chinesische Staatsmedien nicht neue Erfolge bei der Korruptionsbekämpfung vermelden. Angeblich gegen 37.000 Beamte und Parteisekretäre sei im vergangenen Jahr bereits ermittelt worden, hat Xinhua neulich berichtet. Würde Xi Jinping sein Versprechen ernst meinen, müsste er jedoch längst auch gegen seine eigenen Familienmitglieder vorgehen.

Doch weder gibt es zu den jüngsten Enthüllungen von offizieller Seite eine Stellungnahme, noch haben die Staatsmedien am Mittwoch über die Enthüllungen berichtet. Das durften sie auch schon im Sommer 2012 nicht, als zunächst die US-Nachrichtenagentur Bloomberg schon einmal über das angebliche Familienvermögen von Xi Jinping berichte und wenige Monate später die New York Times mit einem umfangreichen Bericht über das Familienvermögen des damals noch amtierenden Premierministers Wen Jiabao nachzog.

In beiden Fällen wurden die Webseiten der beiden US-Medien blockiert. Ihren in China ansässigen Korrespondenten wird seitdem die Arbeit erschwert – indem ihnen etwa die Visaverlängerung verzögert wird. Dem Leiter der China-Redaktion der New York Times, Chris Buckley, wird sogar komplett die Einreise verweigert. Er wartet seit über einem Jahr in Hongkong auf eine Genehmigung.

Aber auch gegen Blogger im eigenen Land gehen die chinesischen Zensurbehörden vor. Einträge zu den nun geleakten Informationen machten auf den chinesischen Mikroblogdiensten am Mittwoch zwar schnell die Runde. Die meisten der Veröffentlichungen waren aber nach wenigen Minuten wieder gelöscht. Wer etwa beim Twitter-ähnlichen Dienst Sina Weibo auf chinesisch „Steueroase“ eingab, bekam eine Fehlermeldung angezeigt.

Zufall? Wahrscheinlich nicht. Seit dem frühen Mittwochmorgen läuft im Westteil von Peking der Prozess gegen Chinas derzeit prominentesten Bürgerrechtler: Der 40-jährige Xi Zhongyi gründete vor zwei Jahren die Initiative „Bewegung neuer Bürger“, die sich unter anderem für die Offenlegung der Vermögen von Funktionären und Spitzenkadern einsetzt. Wegen angeblicher „Störung der öffentlichen Ordnung“ drohen dem Bürgerrechtler nun fünf Jahre Gefängnis. FELIX LEE, PEKING

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