Sie sind in Verbindung mit einem Geist

HAITI „Vodou – Kunst und Kult aus Haiti“ heißt eine Ausstellung im Ethnologischen Museum Dahlem. Sie zeigt Fotos und Gegenstände des Vodou-Ritus und das, was nach dem Erdbeben vom Januar davon übrig geblieben ist

Die Vodou-Religion setzt nicht auf Fruchtbarkeit, sondern auf Ekstase, es gibt kaum Homophobie

VON JENNI ZYLKA

Den einen kriegt man mit einem Gläschen Rum, den anderen mit einem rohen Ei. Die eine steht auf Türkis und Blau, der andere auf Weiß und Gold. Der eine hilft beim Kindermachen, die andere beim Geldverdienen: Für jeden Wunsch ist im haitianischen Vodou mindestens ein Geist zuständig. Diese mehrere hundert Geister heißen Iwa, und spätestens seit Vodou, die haitianische Schreibweise von Voodoo, 2003 in Haiti endlich als offizielle Glaubensgemeinschaft anerkannt wurde, können die 90 Prozent der HaitianerInnen, die vodougläubig sind, ihre Religion auch öffentlich ausüben.

Jungfrau Maria & Iwa Erzalie

Sie können Vodou-Ehen schließen, im Namen des Vodou Kinder taufen oder Begräbnisse leiten lassen. Und zur großen Freude der toleranten GeisterliebhaberInnen dürfen sie auch noch katholisch bleiben: Zur Religion ihrer ehemaligen Eroberer und Sklavenbesitzer bekennen sich ebenfalls 90 Prozent aller HaitianerInnen. Sie glauben gleichzeitig an die Jungfrau Maria und einen der Liebe verschriebenen, recht eitlen Geist namens Iwa Erzalie.

So hat man einfach mehr vom Glauben. Wie Iwa Erzalie aussehen könnte, zeigt die etwa 350 Objekte umfassende Sammlung der in Haiti lebenden Schweizerin Marianne Lehmann, die im Ethnologischen Museum in Dahlem in ein paar abgedunkelten, klimatisierten Räumen eine ganz neue Stimmung erzeugt. Nach einführenden Tafeln, die einen Überblick über die kreolische Kultur und deren Entwicklung aus den afrikanischen Sklaven, die die Spanier auf Hispaniola zurückließen, und den weitgehend ausgerotteten Ureinwohnern, den Tanio, geben, zieht zuerst eine aktuelle Fotosammlung von Haiti nach dem Erdbeben die Verbindung zur Gegenwart: Auch viele Vodou-Tempel sind dabei in sich zusammengebrochen. In den übrigen Räumen wartet dann das, was in solchen Tempeln stand. Lehmann, die früher Konsulatsangestellte war, begann ihre Sammlung 1957 mit dem dreihörnigen Papa Bosou, 40 Zentimeter hoch aus Beton, eine Pfeife im großzähnigen Mund, eine Schlange um den Körper gewunden – Bosou steht, darauf wäre man angesichts der vielen Hörner und der Schlange fast selbst gekommen, für männliche Fruchtbarkeit. Um mit Bondye, „bon dieu“, dem obersten Gott persönlich, in Kontakt zu treten, wendet sich der Vodou-Gläubige an den Iwa: Bondye selbst ist nämlich nicht zu erreichen, das Kommunizieren durch und mit den Iwa geht dagegen einwandfrei.

Der Hauptteil von Lehmanns Sammlung sind folgerichtig Iwa-Puppen, viele aus mit Pailletten besetztem Stoff, manche auf echte Schädel modelliert, mit Spiegeln in den Augenhöhlen. Erzulie Mapyang ist beispielsweise eine greise Geisterfrau, die den Nachwuchs beschützt, auf vielen Darstellungen hängt ihr nonchalant eine schlaffe Brust aus der Bluse. Iwa Erzalie versteckt sich hinter einem Marienbildnis, es gibt einen Iwa, an den sich Schwule besonders gern wenden – angeblich ist es ein recht effeminierter Geist, der gern Frauenkleidung trägt, und es gibt eine, der guter Willen gegenüber Lesben nachgesagt wird.

Vodou ist eine Religion, die nicht auf Fruchtbarkeitsriten, sondern auf Ekstase setzt – es heißt, es gäbe darum in diesem Glauben kaum Homophobie. Neben den Geistern, die einen bei einer Vodou-Messe natürlich heimsuchen können und sollen, wobei man sich je nach Geist in dessen Manier benimmt – man schlängelt sich wie eine Schlange auf dem Boden oder ruft nur noch „kekeke!“ –, spielen Spiegel eine wichtige Rolle: An einer Wand hängen riesige, mit Ornamenten, Menschenschädeln, Masken und Symbolen verzierte Spiegel. Ein Houngan, also ein Vodoupriester, oder eine Mambo, eine Priesterin, nutzen sie, um mit den Geistern Kontakt aufzunehmen.

Das ist ausdrücklich erwünscht: Wenn sich die PriesterInnen oder sonstige Gläubige in einer Trance, also in Verbindung mit einem Geist befinden, können sie zu aktuellen Wünschen und Nöten befragt werden. Eine große Gruppe stämmiger, gruseliger Puppen im nächsten Raum stellt die bislang immer noch kaum erforschte Geheimgesellschaft „Bizango“ dar, ein angeblich bis in die aktuelle Politik seine Fäden ziehende, unter der Oberfläche Haitis operierender Bund, außerdem stehen schick verzierte „pake“ (vom französischen paquet), Flaschen mit „magischem Inhalt“, herum.

Flasche mit magischem Inhalt

Vodou, ob man es nun als Kunst, Kult oder Kultur sieht – die Grenzen sind fließend – ist vielschichtig, bunt, tolerant, für Nichteingeweihte schier undurchschaubar und unterhaltsam abstrus. Dass Zombies oder Vodoupuppen, die teilweise falsch interpretierten populärkulturellen Bezugspunkte, nur am Rande der umfangreichen Sammlung vorkommen, ist trotzdem schade. Und eine kleine Messe, in der Besessene „kekeke!“ schreien oder ein bisschen schwarze oder weiße Magie praktizieren, hätte man auch gern gesehen. Allein, damit diese Dokumente endlich die bekannten Bilder aus „Live and let die“, „Angel Heart“ oder „I walked with a Zombie“ verdrängen.

■ „Vodou – Kunst und Kult aus Haiti. Bis 24. 10., Ethnologisches Museum, www.smb.museum/vodou