Kassieren statt fördern

Die Agenturen für Arbeit sparen bei der Förderung für Arbeitslose und machen gleichzeitig Überschüsse in Milliardenhöhe. Nordrhein-Westfalen trifft dies in ganz besonderem Ausmaß

VON SEBASTIAN HEISER

Während die Agenturen für Arbeit Überschüsse in Milliardenhöhe machen, werden die Fördermaßnahmen für Arbeitslose weiter gekürzt. „Nordrhein-Westfalen ist davon durch den Strukturwandel im Ruhrgebiet härter getroffen als andere westdeutsche Bundesländer“, sagte Thomas Münch, der als Professor an der Fachhochschule Düsseldorf lehrt und in der Arbeitslosen-Bewegung aktiv ist, gestern der taz. Anfang der Woche hatte die Bundesagentur für Arbeit mitgeteilt, der Überschuss der Behörde werde im laufenden Jahr wahrscheinlich sogar noch über den zuvor prognostizierten 4,5 Milliarden Euro liegen.

Einer der Gründe für den Überschuss: Der Staat spart bei den Förderprogrammen für Arbeitslose. In Nordrhein-Westfalen geben die Arbeitsagenturen im laufenden Jahr 4,239 Milliarden Euro aus, 14,5 Prozent weniger als im Jahr zuvor. Das heißt: Weniger Fortbildungen, weniger Arbeitsbeschaffungsmaßnahmen (ABM), weniger Eingliederungszuschüsse für Betriebe, die Arbeitslose einstellen. Die Sparvorgaben kommen aus der Bundesregierung, die auch entscheidet, wohin der Überschuss fließt.

Und 2007 wird bei den Ausgaben noch weiter gekürzt: Etwa sieben bis acht Milliarden Euro bundesweit. Denn die Koalition im Bund will den Beitrag zur Arbeitslosenversicherung von 6,5 Prozent des Bruttolohnes auf 4,5 Prozent senken.

„Ausgesprochen kritisch“ sieht das die Fraktionsvorsitzende der Grünen im Landtag, Sylvia Löhrmann. Sie erklärte gegenüber der taz, „die Chancen auf Arbeit dürfen nicht dem Bemühen um eine Senkung des Beitrags für die Arbeitslosenversicherung geopfert werden.“ Das Gegenteil sei jetzt geboten: „Das Fördern muss endlich oberste Priorität haben.“

Nach Ansicht der nordrhein-westfälischen Regionaldirektion der Bundesagentur für Arbeit ist die Förderung für Arbeitslose dagegen trotz der sinkenden Ausgaben sogar besser geworden. Sprecher Werner Marquis sagte, erstens sei die Zahl der Arbeitslosengeld-I-Empfänger im Vergleich zum Vorjahr durch mehrere einmalige Effekte von 390.000 auf 330.000 gesunken – und weniger Empfänger brauchen auch weniger Förderung. Zweitens werde der „Einsatz von arbeitsmarktpolitischen Instrumenten zunehmend streng an der Wirkung orientiert“. So nutze man zum Beispiel den Wettbewerb unter den Anbietern von Fortbildungen, um die gleiche Leistung für weniger Geld zu erhalten.

Professor Münch glaubt nicht an eine bessere Förderung mit weniger Geld: „Hinter der Kürzungsorgie steht kein Konzept, sondern allein der Sparzwang.“ Die Politik müsse einsehen, dass es nicht genug Arbeitsplätze für alle arbeitsfähigen Menschen gebe. Es gebe immer mehr Druck auf Arbeitslose, dabei brauche es gezielte Förderung von Perspektiven jenseits eines voll bezahlten Jobs. Doch statt zu erkennen, dass die Politik den falschen Weg eingeschlagen habe, erhöhe sie jetzt sogar noch weiter das Tempo.

Aus dem Landesarbeitsministerium unter Karl-Josef Laumann (CDU) war keine Stellungnahme zu erhalten. „Der Minister ist in Urlaub“, teilte ein Sprecher mit.