„Hungrig kann ich nicht lernen“

Für viele Studierende aus Nicht-EU-Ländern bedeuten die 500 Euro Gebühr das Aus. Sie bekommen kein Darlehen und dürfen kaum Geld verdienen – dank des deutschen Ausländerrechts

von Kaija Kutter

Danach gefragt, ob Hamburgs Studierende sich nach Einführung der 500 Euro Studiengebühr Sorgen um ihre finanzielle Zukunft machen müssten, sagte Wissenschaftssenator Jörg Dräger kürzlich im taz-Interview „eindeutig nein“. Dabei übersah der parteilose Senator offenbar die nicht ganz kleine Gruppe der Studierenden aus Nicht-EU-Ländern: aus Afrika, Asien und Südamerika. „Der Senator hat uns vergessen“, sagt Fabien Jeutsopheng aus Kamerun, der an der TU Harburg Informatik und Ingenieurwissenschaft studiert. „Für ihn sind wir nur eine Belastung.“

Anders als für Deutsche und EU-Bürger gibt es für Jeutsopheng und seine Kommilitonen aus den Entwicklungsländern kein Darlehen, mit dem sie die 1.000 Euro Gebühr im Jahr bezahlen könnten. Gleichzeitig sind sie die Studierendengruppe mit dem wenigsten Geld. Denn durch das Ausländerrecht sind ihre Arbeitsmöglichkeiten streng reglementiert. „Man konnte bisher, wenn man auf Luxus verzichtet, dass Studium gerade noch abschließen“, sagt Fabien Jeutsopheng. „Künftig wird das nicht mehr möglich“.

„Weniger essen“, antwortet Cecilia Torres (35) aus Peru denn auch auf die Frage, wie sie ihr Architekturstudium an der HafenCity Universität (HCU) fortsetzen will. Schon hält sie sich nur so eben mit Mini-Jobs als Lagerarbeiterin über Wasser, bei denen sie nicht über 410 Euro verdienen darf. Eine Arbeit in einem Architekturbüro kann sie nicht annehmen, weil das Ausländerrecht ihr vorschreibt, maximal 90 ganze oder 180 halbe Tage im Jahr zu arbeiten. Und sie bekommt nur Jobs, die kein EU-Bürger will.

„Studienbegleitende Jobs kriegen wir nicht“, ergänzt Abouba Ndiaye, dessen Eltern aus Burkina Faso und dem Senegal stammen. Er studiert an der Hamburger Uni Politik und Freizeitpädagogik, um später im afrikanischen Tourismus tätig zu sein. Die Hilfsjobs an der Uni bekämen „meist nur Deutsche“. Ihm blieben nur die Gelegenheitsjobs als Küchenhilfe, Putzkraft oder Helfer auf dem Bau. „Man müsste uns erlauben, mehr zu arbeiten als 90 Tage“, sagt der 37-Jährige. Denn: „Wenn man Hunger hat, kann man nicht lernen.“

„Die 250 Euro für Semesterticket und Studentenwerk bekomme ich noch zusammen“, berichtet auch Sarangerel Dashjav aus der Mongolei, die neben ihrem Medizinstudium samstags und sonntags 13-Stunden-Schichten in einem Altenheim schiebt. „Aber 750 Euro sind nicht zu schaffen“. Knapp 200 Euro kosten schon die günstigsten Zimmer im Studentenheim.

„Unsere Kurse sind kostenlos. Aber für die Studierenden sind schon 10 Euro Anmeldegebühr viel Geld“, sagt Marianne Rennberger, die im Auftrag der Evangelischen Studierendengemeinden und des Diakonischen Werks das Studienbegleitprogramm „Stube“ für ausländische Studierende organisiert. Hier treffen sich Kommilitonen aus Afrika, Asien und Lateinamerika und diskutieren das Problem. Durchaus kontrovers. Ndiaye fordert generell, dass Deutschland die Kinder aus dem armen Ländern umsonst studieren lässt. Jeutsopheng fordert von Dräger eine Quote für ausländische Bewerber, die umsonst oder mit Hilfe eines Kredits studieren dürfen.

Es sind nicht nur die Ärmsten, die kommen. Jeutsopheng zum Beispiel musste bei seiner Einreise nachweisen, dass er sich zwölf Semester lang ernähren kann. Doch das Geld, sagt er, sei meist schon nach vier Semestern aufgebraucht, wenn man die teuren Deutsch-Sprachkurse hinter sich hat. Leichter hätten es seine Landsleute, die in Frankreich oder USA studierten und nicht erst eine neue Fremdsprache lernen müssten. „Die haben schon den Bachelor fertig, wenn wir das Studium beginnen“.

Trotzdem habe es in Kamerun bisher eine große Begeisterung für ein Studium im „Land der Technik“ gegeben. „Es kamen nur die engagiertesten nach Deutschland“, sagt Jeutsopheng. Dieser „Fluss“ werde mit der Gebühr versiegen: „Das ist das Ende der Entwicklungshilfe.“ Unterm Strich würden die Kosten so hoch, dass sich nicht mal mehr „das Einzelkind zweier Spitzenbeamten“ eine Ausbildung in der Bundesrepublik leisten könne.

„Das stimmt, auch bei uns gäbe es keine Chance“, ergänzt Sarangerel Dashjav, die in Deutschland studiert, weil in mongolesischen Krankenhäusern fast nur deutsche Technik verwendet wird. Ihr Vater habe sie bis 2003 unterstützt, sei dann aber gestorben, so dass sie auf sich allein gestellt ist.

„Als wir herkamen, war keine Rede von Gebühren“, pflichtet Zohreh Khosravi aus dem Iran bei. Sie studiert im 10. Semester Islamistik und hofft inständig, dass sie bis zur Einführung der Gebühren im Sommer 2007 ihre Magisterarbeit fertig bekommt. Viele seiner Landsleute, sagt Ndiaye, suchten sich Deutschland aus, weil es keine Gebühren gebe. Doch die Bedingungen seien schon durch das Ausländerecht so schlecht, dass viele abbrechen. Ndiaye: „Afrikaner kommen her, wollen Ingenieur werden und enden als Ehemann.“ Das findet er „schade“.

„Wenigstens eine Art Vertrauensschutz für die, die hier studieren, müsste es geben“, sagt Marianne Rennberger. Oder Ausnahmen für jene, die sich „entwicklungspolitisch“ engagierten. „Stube“ finanziert den Studierenden Flüge in ihr Heimatland, damit sie dort Praktika machen und Anwendungsmöglichkeiten für ihr Studium finden. Ndiaye hat auf diese Weise im Senegal Feldforschung betrieben, Torres in Peru den Konflikt um einen Hafenbau entschärft, und Jeutsopheng in Kamerun vor 10.000 Menschen für bessere Bildungschancen für Mädchen geworben. „Diese Studierenden“, sagt Rennberger, „werden die Brückenbauer zu den Ländern des Südens, die Hamburg doch auch sucht.“

Einen Strohhalm gibt es noch für einige der fünf. Dräger schiebt den schwarzen Peter den Hochschulen zu und erlaubt ihnen, ausländischen Studierenden die Gebühr zu „stunden“, so dass sie sie später zurückzahlen. Allerdings nur bis zum 35. Lebensjahr. Ob die Hochschulen das damit verbundene Risiko eingehen, bleibt allein ihnen selbst überlassen.

Ganz befreit werden von den 500 Euro werden nur jene, die „herausragende Leistungen“ zeigen. Sarangerel Dashjav runzelt die Stirn: „Herausragende Leistung? Ich habe so wenig Zeit. Wie sollen wir das schaffen?“