Die Götter wechseln

Rebellen-Aufbewahrungsort, Erschießungs-Areal, Anbetungsstätte: Die mannigfachen Möglichkeiten, Fußball-Arenen zu nutzen und politisch zu missbrauchen zeigt eine Schau in den Hamburger Deichtorhallen. Die Fotos stammen aus dem Spiegel-Archiv

„Die Götter sind die Freunde der Kampfspiele“. Dieser Satz wird Platon zugeschrieben. Gemeint waren jene kultischen Wettkämpfe, die im alten Griechenland wahlweise zu Ehren Apollons, Poseidons oder Zeus‘ abgehalten wurden. Im heiligen Hain des Zeus von Olympia fanden die olympischen Spiele statt – in einem kaum noch begreiflichen Mix aus kultischer Handlung und sportlichem Wettkampf.

In Rom, das eher Sport als Kultus praktizierte, waren dagegen Arenen zu finden – mit Sand bestreute Plätze, die für Kampfspiele und Tierhatzen genutzt wurden. Ein heute kaum noch relevanter Unterschied zum Stadion, der immer stärker verfließt, werden Stadien derzeit doch geradezu epidemisch in Arenen umbenannt – gegen Bezahlung seitens großer Investoren, die zugleich das „Name-Right“ erwerben. Nicht griechischen Göttern, sondern Versicherungen, Brauereien, Autoherstellern und Energie-Giganten huldigt man jetzt.

Das Berliner Olympiastadion, abgelichtet anno 1936 in schwarzweiß, präsentiert derzeit die Ausstellung „Fußball, Stadion, Arena – Bilder aus dem Spiegel-Archiv“ in den Hamburger Deichtorhallen. Die Intention von Inszenierung und Foto wird deutlich: amphitheatergleich wölbt sich das vom Feuerwerk illuminierte Stadion gen Himmel, als wolle man an die Tradition römischer Weltenherrscher anknüpfen.

Die Stadien des heutigen Japan wiederum warten sichtbar auf den Start in die Zukunft: Silbrig-futuristisch, aber immer auch ein bisschen militaristisch wirken die kühnen Formen. Der Sapporo Dome gleicht dem Deck eines Panzers. Oder einem riesigen Vakuum, in das man die Massen sperren kann. Denn nicht nur von der architektonischen Hülle, sondern auch von der politischen Benutzbarkeit kündet die Schau, die Begebenheiten in Erinnerung ruft, die man lieber aus dem Bildgedächtnis striche. Eine öffentliche Hinrichtung im Fußballstadion von Kabul von 1998 ist da zum Beispiel abgelichtet: 35.000 – so der Beitext – männliche Zuschauer wohnten der Erschießung eines Mannes bei; schwarz verhüllt kauert er im Zentrum des Platzes. Einer hat schon angelegt, die Umstehenden halten sich bereits die Ohren zu.

Auch als Putschisten-Aufbewahrungsort eigenen sich Stadien gut: Politische Gefangene nach dem chilenischen Militärputsch von 1973 haben Sicherheitsbeamte in das Stadion von Santiago gepfercht; absurd verloren stehen die Männer auf den Rängen. Denn ein Stadion ist immer auch ein handliches Behältnis für die Massen, die sich dort so trefflich kontrollieren lassen – sei es im Zuge sozialistischer Jubelfeiern in der UdSSR und der DDR, sei es anlässlich des Papstbesuchs. Wobei offen bleibt, wen die Massen eigentlich feiern: die Sportler und Päpste da oben oder sich selbst.

Manchmal aber geraten die Massen außer Kontrolle. Aufnahmen der Massenhysterien in den Stadien im belgischen Heysel und im britischen Hilsbury dokumentieren deutlich den Todeskampf zerquetschter Fans. Derlei sei heute nicht mehr möglich, behauptet der Begleittext. Man mag es hoffen. Ambivalent wird das Phänomen Stadion immer bleiben. Versammlungs- und Kultort, Gefängnis oder Todesfalle kann das Stadion sein. Eine fragile Ordnung der Eingepferchten, die leicht ins Chaos driften kann.

Andererseits könnte es sein, dass ein Event wie die jüngst vergangene Fußball-WM auch nur den Zweck erfüllt, dem schon die panhellenistischen Olympiaden dienten: eine auseinander driftende Gesellschaft (damals: das zersplitterte panhellenistische Reich) per Kulthandlung zumindest zeitweilig zu einen. Fast könnte es angesichts der allgegenwärtigen Buntflaggen- und Karnevalsstimmung so scheinen. Petra Schellen

Die Ausstellung ist bis zum 3. September im Internationalen Haus der Photographie in den Hamburger Deichtorhallen zu sehen