„Wie ein Popstar“

Die Kieler Ausstellung „Der Kaiser im Bild“ zeigt die Versuche Wilhelms II., die Deutschen per Foto für sich zu gewinnen: Als Kriegsherr in Uniform, Familienvater und als Besucher im Lazarett. Noch aus dem Exil heraus verschickt er sein Porträt

Interview: FRIEDERIKE GRÄFF

taz: In einem Text über die Foto-Sammlung Wilhelm II. heißt es, sie verrate „großen Eigensinn“. Bestand der darin, vor allem Bilder von sich selbst zu sammeln?

Kerstin Dronske: Das kann man so sehen. Viele Fotosammler urteilen nach künstlerischen Kriterien. Die Fotosammlung in Doorn hat eindeutig den Kaiser als Hauptperson – das war sein zentrales Anliegen.

Seine Großmutter, die englische Königin Victoria, hat zumindest noch die Porträts anderer königlicher Familien, Politiker und Kirchenmänner gesammelt.

Das unterscheidet die beiden sehr. Seine Großmutter war aber auch führend, was das Heranziehen der besten Fotografen an den Hof anbelangt. Sie hat in zwei ihrer Paläste Dunkelkammern einrichten lassen und sich und ihre Familie porträtieren lassen. Die Hohenzollern haben versucht, das ein bisschen nachzumachen.

Wilhelm II., der sich immer wieder als oberster Kriegsherr in Uniform inszeniert, litt von Geburt an unter einem verkrüppelten Arm. Wie gehen die Porträts mit diesem Handicap um?

Dieser Arm ist für jemanden wie Wilhelm, der ein unstillbares Bedürfnis nach Popularität hatte, ein Trauma. Schon als Kind musste er bei jeder Pose, die er einnahm, diesen linken Arm verbergen. Er stützte sich auf einen Degen, hatte Handschuhe in der Hand, die den verkürzten Arm optisch verlängerten.

Später ist ein zweiter Aspekt dazugekommen, der dem Bild des Herrschers noch viel stärker widersprach: Dass es ein Kaiser ohne Land war. Haben sich die Bilder des Kaisers im Exil verändert?

Im Exil war ihm jede politische Betätigung verboten, deshalb sah er in der Fotografie das einzige ihm verbliebene Mittel, um mit seinen Getreuen in Deutschland Kontakt zu halten und seinen Anspruch auf den Thron aufrechtzuerhalten. Deshalb hat er sich ja auch im Exil nach wie vor in der Herrscherpose fotografieren lassen. Er hat – wie ein früher Popstar – tausende solcher Bildpostkarten verschickt, mal gestempelt, mal mit handschriftlichem Namenszug.

In Doorn kommen Fotos dazu, die ihn in Zivil beim Holzhacken zeigen. Hat das diesen Anspruch auf den Thron nicht eher konterkariert?

Das war ein Punkt, der mich beim Sichten der Fotos in Doorn überrascht hat: Alle wissen von dem manisch Holz hackenden Kaiser, der meinte: Durch das Holzhacken bin ich wenigstens für etwas nützlich. Insofern hatte ich vermutet, in Doorn viele solcher Fotos zu finden. Aber es waren nur zwei.

Viele der Aufnahmen zeigen Wilhelm allein und in Uniform. Gab es nicht ein Bedürfnis der Öffentlichkeit nach privateren Einblicken?

Es gibt durchaus auch private Bilder, die den Kaiser mit seiner Frau und allen Kindern als treu sorgenden Familienvater zeigen. Die Kinder häufig im Kieler Matrosenanzug. Im damals westpreußischen Cadinen zum Beispiel, beim regelmäßigen Sommerurlaub mit der Familie, haben Fotografen regelrechte Fotogeschichten gemacht und in der Tagespresse veröffentlicht.

Die Stadt Kiel hat für den Kaiser ja über die Matrosenanzüge seiner Kinder hinaus großen Reiz gehabt. Wofür steht das Kiel, das auf den kaiserlichen Fotos erscheint?

Kiel und der Kaiser: Das war eine ganz enge Geschichte. Denn auf Kiel blickte ganz Deutschland und manchmal die ganze Welt, wenn der Kaiser seinen Reichskriegshafen besuchte. Er kam das erste Mal, als er gerade einen Monat im Amt war. Später hat er keine Kieler Woche ausgelassen und kam immer wieder, um Werften zu besuchen und Schiffe zu taufen. Kiel und die Förde boten ihm die passende Bühne für ihn als Flottenkaiser. Und dann war es eine Ironie der Geschichte, dass ausgerechnet in Kiel mit dem Aufstand der Matrosen der Funke geschlagen wurde, der die alte Ordnung zusammenbrechen und ihn abdanken ließ.

Da haben auch die Fotos in den Kriegsjahren nicht geholfen, die ihn im Gespräch mit den Soldaten und beim Lazarett-Besuch zeigen.

Der Kaiser war zu dieser Zeit sozusagen nicht mehr im Bilde, er spielte keine Rolle mehr. An der Heimatfront wurden im ersten Weltkrieg unzählige solcher Postkarten vertrieben, um zu zeigen: Der Kaiser hat noch alles unter Kontrolle. Dabei wurde er in der Popularität schon von Hindenburg abgelöst.

Hat Wilhelm II schon so etwas wie Paparazzi erlebt? Bei seiner zweiten Hochzeit sollen Fotos heimlich weiterverkauft worden sein, die nur sehr schlechte Preise erzielten.

Das Paparazzi-Problem gab es wohl in Doorn, obwohl er dort sehr streng bewacht war. Fotografen verschafften sich Einlass in den Schlosspark, um von dort aus Fotos vom Ex-Kaiser zu machen. Bis zum ersten Weltkrieg gab es für ihn keine Probleme mit den Paparazzi. Das erste und damals einzige Foto dieser Art entstand von Bismarck auf dem Totenbett.

Dass es ein historisches Interesse der Deutschen an Wilhelm II gibt, ist offenkundig. Aber wie groß ist es in den Niederlanden, wo die Sammlung dauerhaft zu sehen ist – und wo er über wenig Sympathien verfügen sollte?

Als Wilhelm II. 1918 an der Grenze zu den Niederlanden stand und dann die Einreiseerlaubnis bekam, wurde die Fahrt seines Zuges von protestierenden Niederländern begleitet. Das hat sich, so berichten die Kollegen, die das Haus in Doorn betreuen, im Laufe der 23 Jahre, die er dort verbrachte, gelegt. Er war der weise, alte, freundliche Herr, der im Dorf spazieren ging und den Kindern Münzen schenkte. Aber das Besucherinteresse, so muss man sagen, ist nicht sehr groß. Die meisten Besucher kommen aus Deutschland.

Kommen jetzt zu Ihnen nach Kiel die Monarchisten?

Nein, bestimmt nicht. Die zeitgenössischen Karikaturen, die wir den Bildern beistellen, und auch die Ausstellungstexte sind nicht dazu angetan. Natürlich kommen auch diejenigen, die sagen: „Wir wollen den Kaiser sehen“. Aber neben der Möglichkeit, den Kaiser von jung bis alt zu sehen, gibt es auch die, die sich für die Inszenierungs-Frage interessieren und natürlich kann man sich diese vorzügliche Sammlung auch unter fotohistorischen Aspekten ansehen.