Berechnung und Hilflosigkeit

Trinkgeld oder Diebesgut? Eine inzwischen entlassene Altenpflegerin soll mehrere Bewohner einer Seniorenresidenz um kleinere Geldbeträge bestohlen haben. Dafür steht sie nun vor dem Hamburger Amtsgericht

Im hohen Alter ist die Privatsphäre aufgehoben. Wenn die körperlichen und geistigen Kräfte nachlassen, sind die meisten Menschen auf Hilfe angewiesen. Mit dem Einzug in ein Altenheim wird das Zuhause endgültig zu einem Raum, den auch andere jederzeit betreten können. Diesen ist man ausgeliefert, und das hat sich die Pflegerin Janice O. offensichtlich zunutze gemacht. Der 40-Jährigen wirft die Staatsanwaltschaft vor, in einer Hamburger Seniorenresidenz sieben Bewohner bestohlen zu haben. Zwar nur um geringe Geldbeträge zwischen zehn und 25 Euro – umso größer aber soll der Vertrauensbruch gewesen sein. Ihren Job jedenfalls ist Janice O. los.

Im gestern eröffneten Strafprozess behauptete die Ex-Pflegerin, die Heimbewohner hätten ihr das Geld geschenkt – als Trinkgeld. Es ist ein unschönes Detail dieser Geschichte, dass sie sich die Wehrlosigkeit der alten Leute offenbar zur eigenen Verteidigung zunutze macht. Als vor dem Arbeitsgericht über ihre Kündigung verhandelt wurde, hatte O. eine andere Version aufgetischt. Da hatte sie behauptet, ein 84-jähriger Heimbewohner habe sie sexuell belästigt. Sie habe sich gewehrt und er ihr deshalb zur Rache heimlich 20 Euro zugesteckt, um sie dann des Diebstahls zu beschuldigen.

Dass diese Geschichte wohl ausgedacht war, offenbart sich nun vor dem Amtsgericht: Hier wiederholt Janice O. sie nicht. Und ihr Anwalt bekundet auf die Frage, wie es zu jener früheren Darstellung kam, dass „wir vor dem Arbeitsgericht noch die Hoffnung hatten, das Arbeitsverhältnis retten zu können“.

Mit der nun vorgetragenen Trinkgeld-Version wäre das nicht möglich gewesen: In der Seniorenresidenz sei es den Pflegern verboten, Geschenke anzunehmen, führt ihr Anwalt aus. Das aber habe Janice O. getan, als sie das Geld der alten Leute annahm. Zu diesem Regelverstoß hätte sie sich vor dem Arbeitsgericht nicht bekennen können, denn das hätte der Heimleitung Argumente für die Kündigung geliefert. „Das mit den Geschenken“, sagt die Angeklagte selbst, „ist grundsätzlich ein Problem in Altersheimen.“

Alte Menschen bildeten sich oftmals ein, bestohlen worden zu sein, führt der Anwalt von Janice O.dann noch aus. Dafür allerdings, dass alle sieben hier betroffenen Senioren ihr vermeintliches großzügiges Geldgeschenk vergessen haben könnten, spricht die Beweislage nicht unbedingt. So gibt es Fotos einer Überwachungskamera, die Janice O. zeigen: kniend vor dem Nachtschrank eines Rentners. Den hatte sie zuvor im Rollstuhl aus dem Zimmer geschoben.

Der Prozess wird fortgesetzt.ELKE SPANNER