Die Erben der Muffel

Ihre Ursprünge sind bis heute ein Rätsel. Fest steht aber, dass kein Tier die norddeutsche Landschaft so sehr geprägt hat, wie die Heidschnucke. Ihren großen Tag hat sie heute in Müden an der Örtze

von BENNO SCHIRRMEISTER

Wer in diesem Jahr den Titel des Mr. Müden erringt, steht noch nicht fest. Nicht vor heute, 11.30 Uhr. Das wäre Schiebung, und das gibt es höchstens beim Fußball. Aber nicht hier, in der Südheide. Preisrichter aus ganz Deutschland sind angereist, um von 9.45 Uhr an die rund 20 nach den Vorausscheidungen verbliebenen Kandidaten zu begutachten. Sie schauen sich ihre Beine an. Ihre Muskulatur. Und die Hornstellung.

„Die Optik spielt eine große Rolle“, sagt der Geschäftsführer des Heidschnuckenzüchter-Verbandes, Matthias Gutfleisch, „wie die wertvollen Teile ausgeprägt sind.“ Das, woran man sieht, was das Tier mitgibt in die Zucht. Der Sieger der Heidschnucken-Bocks-Kür hat beste Chancen bei der Auktion. Die, das sagt Gemeindebürgermeister Hans-Werner Schlitte, sei „auch gerade touristisch ein Höhepunkt“. Je nach Witterung kämen da „so an die 500 Leute“. Müden an der Örtze ist ein Ortsteil der Gemeinde Faßberg,„ein gestandenes Heidedorf“, so Schlitte, und hat 2.000 Einwohner. Die kämen aber eher selten zum jährlichen Heidschnuckentag.

Die Voraussetzungen für Zuwachs beim Müden-Tourismus sind gut: Das Wetter ist makellos wie ein Preisbock. Und die Heidschnucke ist wieder im Kommen. Ein bisschen wenigstens: Vor gut 100 Jahren gab es in der Lüneburger Heide noch an die 400.000 Schnucken, jetzt sind es runde 12.000, und „wenn man das so sieht“, sagt Gutfleisch, „ist die Tendenz natürlich eindeutig negativ“. Auch „tierzahlenmäßig“ sei die Trendwende noch kaum zu spüren. Aber in den vergangenen fünf, sechs Jahren habe die Popularität des genügsamen Schafs deutlich zugenommen. Es habe so einige Neuanmeldungen gegeben: „Die Heidschnucke ist auch für Hobbyzüchter attraktiv.“

Da ist einerseits das schick geschwurbelte Gehörn, auch bei den Weibchen. Da ist andererseits die hübsche Fellzeichnung. Und „dass das Fleisch nicht nach Schaf schmeckt“, sondern „eher wildbretartig“. Seit dem 19. Jahrhundert kursiert die Behauptung, die Heidschnucke stamme vom Muffel ab, einem Wildschaf, das Zartbesaitete unter dem Namen Mufflon kennen. Es lebt auf Sardinien und Korsika. Wie die Muffel den Sprung aufs Festland und über die Alpen geschafft haben, ist ungeklärt.

Es geht wieder aufwärts, heißt: Es könnte durchaus auch besser gehen. Denn nach wie vor ist die Heidschnuckenzucht ein Zuschussgeschäft, ökonomisch sogar noch ungünstiger als die normale Schäferei. So ist zwar die Wolle wertlos, die Ausgaben fürs Scheren fallen aber trotzdem an.

Rentabel wird die Zucht nur durch Fördergelder. Und da ist die EU-Mutterschaf-Prämie kürzlich in eine Flächenförderung umgewandelt worden – was im Prinzip günstig hätte sein können für ein Tier, dass weiträumig Futter sucht. Ist es aber nicht, „weil die Bundesregierung die Heide komplett aus der Flächenförderung herausgenommen hat“, erklärt Gutfleisch, „anders als beispielsweise Schottland“. Bitter. Hängen geblieben ist die Aufgabe bei den Landkreisen: Celle schießt zu, Lüneburg, natürlich, und Lüchow-Dannenberg auch. Weil man weiß, dass maschinell gestutzte Heideflächen teurer wären und touristisch nicht ankämen. Jedenfalls:„Wenn es diese Gelder nicht gäbe“, sagt Gutfleisch, „müssten auf einen Schlag zehn Hüteherden aufgegeben werden.“

Hüteherden, das ist das, was man auf dem Foto haben will, wenn man durch die norddeutsche Steppe tourt: Zwischen 350 und 500 Muttertiere, dazu doppelt so viele Jungtiere, die von Fleck zu Fleck ziehen und das kärgliche Gestrüpp knabbern. Eine sehr naturnahe Form der Tierzucht, ohne Mineraldüngerbedarf, und obendrein ein Schutz fürs Landschaftsbild: Wenn das Heidekraut nicht ständig kleingebissen worden wäre, wäre es längst in die Höhe geschossen und verholzt. Und die Gegend zwischen Celle und Harburg hieße dann: der Lüneburger Busch.