„Wir haben Riesenunterschiede“

Einst waren sie Kollegen bei den Grünen, heute konkurrieren sie um die SPD-Gunst. Im Streitgespräch zeigen Grünen-Spitzenfrau Eichstädt-Bohlig und PDS-Kontrahent Wolf, was Sie trennt – und verbindet

Moderation MATTHIAS LOHRE

taz: Frau Eichstädt-Bohlig, Herr Wolf, sehen Sie sich bitte mal diese Fotos an.

Franziska Eichstädt-Bohlig: So was hatte ich kommen sehen.

Harald Wolf: Da sah ich noch anders aus.

Als diese Fotos 1989 entstanden, werkelten Sie an der ersten rot-grünen Koalition Berlins. Sind Sie und Ihre Parteien einander heute ebenso nah?

Eichstädt-Bohlig: Na, hören Sie mal! Zwischen uns und der PDS gibt es Riesenunterschiede. Ein Beispiel: der Umgang mit der DDR. Zwar sagt Ihre Partei, Herr Wolf, immer wieder, dass sie Distanz zur Stasi hält. Aber im Ernstfall zeigt sich, dass Sie sich mit der Geschichte dieser Diktatur nicht genügend auseinander setzen. Gerade für die Menschen in Berlin ist das ein großes Problem.

Wolf: Ach was. Es war doch ein PDS-Mann – Kultursenator Thomas Flierl –, der das hoch gelobte Konzept zum Gedenken an die Berliner Mauer vorgelegt hat. Auch die Grünen haben es begrüßt. Zum Thema Demokratie und Bürgerrechte: Die PDS hat die Einführung von Bürgerentscheiden in den Bezirken durchgesetzt. Am 17. September stimmen die Wähler über unsere Verfassungsänderung ab, die Volksentscheide erleichtert.

Wir haben als erste Landesregierung die verfassungswidrige Rasterfahndung abgeschafft. Übrigens: Eingeführt hatte sie der rot-grüne Übergangssenat im Jahr 2001. In Sachen Demokratie brauchen wir uns von Ihnen also nichts vormachen zu lassen.

Eichstädt-Bohlig: Für mehr BürgerInnenrechte haben vor allem wir Grünen gestritten. Sie wissen doch bis heute nicht, was Sie wollen: Sie sind mit der WASG gleichzeitig verheiratet und geschieden. Lafontaine ist der Dogmatiker, Gysi gibt auf Bundesebene den Pausenclown. Gleichzeitig präsentiert sich Harald Wolf in Berlin als Oberrealo. Sie dienen sich am meisten und am schnellsten der SPD an.

Wolf: Am schnellsten und meisten tat das doch Ihr Fraktionsvorsitzender Volker Ratzmann. Der forderte überstürzt die Olympiabewerbung Berlins, weil Wowereit ins selbe Horn geblasen hatte. Wir prüfen lieber zuerst die Risiken und Nebenwirkungen. Sie dienen sich der SPD regelmäßig als Koalitionspartner an, verkaufen sich aber als unbequemer Partner. Das fällt Ihnen im Wahlkampf noch auf die Füße.

Trotz aller Unterschiede einen Sie doch auch Gemeinsamkeiten, zum Beispiel bei der Frage: Wie bringen wir Berlins Wirtschaft auf Trab?

Eichstädt-Bohlig: Klar gibt es da Überschneidungen. Wir setzen insbesondere auf Unternehmen der Gesundheitswirtschaft, ebenso auf Kultur-, Mode-, Medien- und Werbefirmen. Anders als Rot-Rot wollen wir aber auch die innovativen Energien sehr viel stärker nutzen.

Wolf: Wir haben diese Wirtschaftsfelder seit 2002 doch erst ins öffentliche Bewusstsein gebracht! Unternehmen, Forschung, Senatsverwaltungen und Wirtschaftsförderinstitutionen haben wir miteinander verbunden, mit klaren, gemeinsam verfolgten Zielen. Wir haben Schluss gemacht mit dem Themen-Hopping der schwarz-roten Koalition.

Beim Thema Hartz IV wälzen Sie beide die Verantwortung ab: Die PDS klagt, der Bund sei schuld – setzt die Reformen aber in Berlin um. Die Grünen stimmten im Bund dafür – und jammern in der Hauptstadt über die Folgen. Wie können Sie da das soziale Gewissen der Stadt spielen?

Eichstädt-Bohlig: Hartz IV hat mehr gebracht, als viele wahrhaben wollen. Sozialhilfeempfänger werden endlich mit Arbeitslosen gleichgestellt …

Wolf: Aber auf dem Niveau der Sozialhilfe.

Eichstädt-Bohlig: Eben nicht. Viele Menschen verbessern sich finanziell durch das Arbeitslosengeld II. Beispielsweise wenn Selbstständige insolvent werden. Oder Leute, die ihren Verdienst mit ALG-II-Mitteln aufstocken können. Gerade im armen Berlin ist das eine große Hilfe. Das nehmen Sie nur nicht zur Kenntnis. Natürlich können auch wir uns Verbesserungen vorstellen.

Wolf: Falsch. In Ihrem Wahlprogramm steht: „Hartz IV ist eine tolle Reform, nur ein paar Punkte finden wir schlecht: die Höhe des Arbeitslosengelds II, die Anrechnung des Partnereinkommens, die Zuverdienst- und die Zumutbarkeitsregelungen, und geschlechtergerecht ist das Ganze auch nicht.“ Bis auf den Satz „Hartz IV ist eine tolle Reform“ klingt das wie ein Textbaustein von mir.

Eichstädt-Bohlig: Sie regen sich über das Maß von Hartz IV auf, schöpfen aber nicht einmal die Mittel aus, die Berlin zur Verfügung stehen. 300 Millionen Euro Arbeitsmarktgelder hat Berlin 2005 verfallen lassen.

Wolf: Das war in allen Bundesländern so. Über die Verwendung dieser Mittel kann der Senat gar nicht entscheiden. Das machen die Jobcenter. Das wissen Sie doch genau.

Eichstädt-Bohlig: Das stimmt nicht! Kein anderes Bundesland hat derartige Summen zurückgehen lassen. Lieber Harald Wolf, die PDS kann sich bei diesem wichtigen Thema nicht weit aus dem Fenster lehnen und gleichzeitig sagen: Wir sind nicht zuständig. Sie tragen die Verantwortung für die Berliner Arbeitsmarktpolitik, beispielsweise bei der Federführung für die Jobcenter.

Wolf: Wir tun nichts? Wir haben uns nicht damit abgefunden, dass 22 Prozent der ALG-II-Empfänger unter 25 keinen Schulabschluss haben. Deshalb haben wir ein vom Land finanziertes Programm zur Berufsqualifizierung aufgesetzt. Dadurch erhalten junge Arbeitslose die Chance, ihren Schulabschluss nachzuholen. Allein 2005 haben 6.000 junge Menschen das Programm durchlaufen.

Noch handfester werden Ihre Differenzen beim Thema Wohnungsbau: Die PDSler wollen möglichst alle 270.000 Landeswohnungen behalten, die Grünen zehntausende Wohnungen verkaufen. Ist das sozial, Frau Eichstädt-Bohlig?

Eichstädt-Bohlig: Unser Ziel ist es, die Unternehmen wieder handlungsfähig zu machen. Wir peilen 220.000 verbleibende Wohnungen an, gut verteilt auf alle Bezirke. Bei Rot-Rot hingegen klaffen Worte und Taten auseinander: Seit einer Ewigkeit warten wir auf ein Sanierungskonzept für die heute sechs städtischen Wohnungsunternehmen. Das lag vor allem an der zögerlichen SPD.

Ohne Konzept und Ziel hat der Senat im Jahr 2004 das beste Pferd im Stall, die Wohnungsbaugesellschaft GSW, an die „Heuschrecken“ von Cerberus verkauft. Das war ein Riesenfehler. Ergebnis: Jetzt sind die guten, überwiegend im Westen liegenden Wohnungen futsch, das Land behält vor allem die Großsiedlungen im Osten. Hinzu kommt, dass Berlin 1,7 Milliarden Euro aus den Wohnungsbauunternehmen herausgesaugt hat. So schleppen Sie Milliardenschulden mit sich herum.

Wolf: Die Schulden hat uns Schwarz-Rot hinterlassen. Unter Rot-Rot wurden sie vermindert. Der Verkauf der GSW war aus heutiger Sicht falsch.

Aber wie war die Lage damals? Das laufende Verkaufsverfahren für die GSW hatten wir vom rot-grünen Übergangssenat übernommen. Dann kam der von Grünen, FDP und CDU erwirkte Urteilsspruch des Berliner Verfassungsgerichts über den Landeshaushalt. Das verpflichtete uns ausdrücklich, jede Einnahmequelle, auch aus Privatisierungen, zu nutzen. In dieser Situation konnten wir das Verkaufsverfahren nicht mehr stoppen. Die Grünen haben ihren Anteil daran.

Ein Sanierungsplan für die Wohnungsunternehmen fehlt aber bis heute.

Wolf: Richtig ist: Wir konnten die SPD bisher nicht zu einem Gesamtkonzept für die Wohnungsbauunternehmen bewegen. Aber jetzt haben die SPD-Senatoren für Finanzen und Stadtentwicklung vom Senat den Auftrag, ein Konzept auszuarbeiten.

Eichstädt-Bohlig: Herr Senator, machen Sie sich ehrlich! Sagen Sie den MieterInnen, dass Sie nach der Wahl weitere Wohnungen verkaufen müssen.

Wolf: Planlose Ausverkäufe – wie bei der Wohnungsbaugesellschaft Mitte (WBM) beabsichtigt – wird es mit uns nicht geben. Erst recht keinen Verkauf eines ganzen Unternehmens. Einzelne Verkäufe zur Arrondierung eines Bestandes und im Rahmen eines Gesamtkonzeptes kann niemand seriös ausschließen.

Und was ist mit Verkäufen an so genannte Heuschrecken?

Wolf: Mit uns nicht.

Eichstädt-Bohlig: Das schließen wir definitiv aus.

Beim Thema Bildung ähneln Sie sich. Beide wollen das dreigliedrige Schulsystem zugunsten eines Einheitsmodells abschaffen. Nur: Die PDSler wollen die Einführung sofort, die Grünen „mittelfristig“. Müssen Sie auf PDS-Linie einschwenken, Frau Eichstädt-Bohlig?

Eichstädt-Bohlig: Wir wollen, dass Haupt- und Realschule miteinander verknüpft werden, und zwar schon in der kommenden Legislaturperiode. Aber anders als die PDS sagen wir nicht: „Ändert die Schulform, dann wird alles gut.“ Wir wollen zuerst den Unterrichtsausfall beheben, mehr sozialpädagogische Betreuung, mehr Ganztagsschulen. Wichtiger als das utopische Fernziel Einheitsschule sind uns konkrete Verbesserungen.

Und wie wollen Sie die finanzieren?

Eichstädt-Bohlig: Unter anderem durch die vom Bund beschlossene Erhöhung der Mehrwertsteuer. Den Hauptteil der Mehreinnahmen wollen wir in die Haushaltskonsolidierung stecken …

Wolf: Nachdem die rot-grüne Steuererhöhung Berlin 800 Millionen Euro Mindereinnahmen eingebrockt hat!

Eichstädt-Bohlig: … aber jeder fünfte Euro muss in die Bildung gehen.

Wolf: Wir wollen den Einstieg in die Gemeinschaftsschule in der kommenden Legislaturperiode. Das darf nicht nur Haupt- und Realschulen einbeziehen, sondern auch die Gymnasien. Wir müssen wegkommen von der frühzeitigen Selektierung von Kindern. Das ist nicht nur eine organisatorische Frage. Bei den Verwaltungen der Schulen können wir noch viel Geld und Kapazitäten freischaufeln, um den Umbau zu gestalten.

Ende der 80er-Jahre werkelten Sie gemeinsam an der ersten rot-grünen Koalition Berlins. Bald könnten Sie die erste rot-rot-grüne Landesregierung schmieden. Interesse?

Eichstädt-Bohlig: Koalitionen mit zwei Partnern sind meist schon schwer genug. Bei der PDS anscheinend nicht, weil sie so schön bequem für die SPD ist.

Wolf: Das Schwierigste sind die Koalitionen in der eigenen Partei.

Eichstädt-Bohlig: Eine Dreier-Koalition wird noch schwieriger. Das wollen wir nicht. Erst recht nicht mit einer PDS, die uns zu staatsgläubig ist.

Wolf: Die Grünen verwechseln mehr und mehr Zivilgesellschaft mit Wirtschaftsliberalismus. In manchen Bereichen – beispielsweise der Wohnungswirtschaft – kann der Staat seine Verantwortung nicht einfach abgeben. Wir wollen auch keine Dreierkonstellation.

Wie viel Gemeinsamkeiten – in Prozent – haben PDS und Grüne in Berlin?

Eichstädt-Bohlig: Vielleicht 30 Prozent.

Wolf: Ich glaube, es sind mehr. Um die 50 Prozent.