G-8-Gipfel soll Atom-Einstieg einläuten

Großbritannien vollzieht den Ausstieg aus dem Atomausstieg. Auch US-Präsident George W. Bush fordert mehr Nuklearenergie und bemüht dafür sogar den Klimawandel als Argument, den er bislang geleugnet hatte

FREIBURG taz ■ Wenn sich am Wochenende die sieben führenden Industrieländer und Russland zum G-8-Gipfel in St. Petersburg treffen, wird es vor allem um die Zukunft der Energieversorgung gehen. Die Staatschefs beginnen, den Klimawandel als Gefahr zu begreifen. Und auch das Wissen um die Endlichkeit der fossilen Ressourcen wird bei steigenden Ölpreisen hoffähig.

Diese Erkenntnisfortschritte sind jedoch nur ein Teil der Wahrheit. Denn der Weg, den einige der G-8-Staatschefs nun einschlagen wollen, ist der Ausbau der Atomkraft. Der britische Premierminister Tony Blair hat bereits verkündet, vom nationalen Atomausstieg Abstand zu nehmen. Frankreich hatte gegenüber der Strahlentechnik nie Vorbehalte. Und auch US-Präsident George W. Bush setzt immer deutlicher auf Atomkraft: „Wenn einem am Umweltschutz liegt, scheint mir die friedliche Nutzung der Kernkraft ein guter Weg zu sein“, sagte er dieser Tage.

Die Briten, bislang durch eigenes Nordseeöl gut mit Energie versorgt, spüren inzwischen die rapide Abnahme der Vorräte. „Wir kommen in eine Situation, in der wir Energie importieren müssen“, warnt Blair und vollzieht einen Schwenk um 180 Grad: Noch vor drei Jahren hatte seine Labour-Regierung in einem Weißbuch die Atomenergie als „unattraktive Option“ bezeichnet. Jetzt lässt Blair plötzlich wissen, man müsse zumindest die bestehenden AKW im Land ersetzen. Dabei sollen in Großbritannien bis auf ein AKW alle Anlagen in den nächsten 20 Jahren abgeschaltet werden – auch wegen Sicherheitsproblemen. Nach Ansicht von Experten könnten die neuen Äußerungen Blairs den Neubau von bis zu sechs Reaktoren bedeuten.

Der deutsche Konzern Eon und sein französischer Konkurrent EDF brachten sich bereits als mögliche Investoren ins Gespräch. „Wir werden uns jetzt an den Planungs- und Genehmigungsverfahren für neue Atomkraftwerke beteiligen“, sagte Paul Golby, Chef von Eon UK.

Standhaft beim Atomausstieg sind im G-8-Gremium alleine die Deutschen, und auch die nur zum Teil. Wirtschaftsminister Michael Glos (CSU) hält „die Kernenergie für die sichere Versorgung mit preiswerter Energie und für das Erreichen der Klimaschutzziele für unverzichtbar“. Umweltminister Sigmar Gabriel (SPD) meint: „Die Kernenergie kann allenfalls Gefahren des Kohlendioxids durch Gefahren der Radioaktivität ersetzen.“ Unterstützung bekommt Gabriel von den Umweltverbänden. Gerhard Timm, Bundesgeschäftsführer des Bund für Umwelt und Naturschutz, sagt: „Es ergibt keinen Sinn, die militärische Nutzung der Atomenergie durch Staaten wie den Iran verhindern zu wollen und zugleich dem weltweiten Ausbau der Atomkraft das Wort zu reden.“

Süffisant reagierte Grünen-Chef Reinhard Bütikofer auf den Vorstoß des US-Präsidenten: Jahrelang habe Bush den Klimawandel leugnen lassen. Nun nutze er ihn als Ausrede, um der Atomlobby einen Gefallen zu tun. Bushs Bemerkungen bewiesen nur, dass er „das Problem immer noch nicht verstanden“ habe.

BERNWARD JANZING

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