Nur zwei Fahnen für zwei Potentaten

Stralsund rüstet sich für den Besuch des US-Präsidenten George W. Bush. Regenbogen- und „No War“-Tücher werden abgehängt, die Innenstadt wird gesperrt. Geschäftsleute sind enttäuscht, und viele fühlen sich an DDR-Zeiten erinnert

AUS STRALSUND BARBARA BOLLWAHN

Am Tag vor dem Besuch des US-amerikanischen Präsidenten in Stralsund herrscht in der Hansestadt mit 58.000 Einwohnern eine Mischung aus Geschäftigkeit und Gelassenheit. Und dies, obwohl tausende Polizisten aus dem Bundesgebiet in der Stadt sind und beim Besuch in der City Demonstrationsverbot gilt.

Rund um das Rathaus aus dem 13. Jahrhundert am Alten Markt, dort, wo Bundeskanzlerin Angela Merkel George W. Bush heute ihre ostdeutschen Wurzeln näher bringen will, werden letzte Vorbereitungen getroffen: Schwitzende Handwerker mit Sicherheitsschildern an den Latzhosen sägen Fahnenmasten zurecht, Techniker machen Tonproben, und Herren in dunklen Anzügen überwachen all dies.

Zahlreiche Stralsunder und Touristen sehen dem Treiben bei Dorschfilet und Eistee zu. Ab 18 Uhr müssen alle Cafés und Geschäfte rund um den Alten Markt geschlossen sein. Erst Freitag dürfen sie wieder öffnen. Bis 18 Uhr werden auch die sieben Regenbogen-„Pace“-Fahnen am Gewerkschaftshaus verschwunden sein. Den amerikanischen Präsidenten und die deutsche Kanzlerin sollen nur eine deutsche und eine amerikanische Fahne grüßen, die an einem Bürogebäude mit Anwaltskanzleien hängen.

Eine Fläche von 400 mal 400 Metern rund um das Rathaus wurde zur höchsten Sicherheitszone erklärt. Im schattigen Laubengang des Rathauses stehen etwa drei Dutzend Herren, am dunklen Revers tragen sie Schilder mit dem Aufdruck „Sicherheit. Besuch des Präsidenten der Vereinigten Staaten von Amerika George Bush und Frau Laura Bush“. Sie sind vom Bundeskriminalamt und dürfen nichts sagen. Nur so viel: „Es ist ein Staatsbesuch wie jeder andere auch“.

Die einzigen Bush-Kritiker direkt am Rathaus sind Aktivisten von Greenpeace mit ihrem Informationsstand. „No Nukes. No War. No Bush!“ Ob sie damit auch heute dort stehen können, sollte gestern noch das Oberverwaltungsgericht entscheiden. „Ich glaube, wir haben gute Chancen“, sagt eine Sprecherin. „Weil wir nicht so viele sind.“ Als sicher gilt, dass das große gelbe Tuch mit dem gleichen Aufdruck auf der Spitze der Marienkirche am Neuen Markt keinen zweiten Tag hängen wird.

„Das ist cool“, sagt eine 19-jährige angehende Friseurin mit Blick auf die Kirchturmspitze. „Der Bush-Besuch ist total scheiße“, ergänzt ihre Freundin. „Wir sind total eingeschränkt und müssen am Donnerstag einen früheren Bus zur Berufsschule nehmen.“ Ein Handwerker, offiziell Hartz-IV-Empfänger, der einem Kollegen beim Malern die Leiter hält, ist richtig sauer. „Wir hängen hier in den Seilen, und jeder versucht, eine Mark zu verdienen, und dann geben die 20 Millionen Euro aus. Das ist doch ein Witz!“ Weil er heute statt mit dem Auto mit dem Rad zur Arbeit fahren müsste, nimmt er einen freien Tag.

Erfreut zeigen sich die Mitarbeiter der Tourismusinformation. „Stralsund wird auf einen Schlag weltbekannt“, strahlt eine Mitarbeiterin. In anderen Geschäften ist die Stimmung getrübt, weil nur noch Anwohner in die Innenstadt dürfen. So wie der Inhaber eines Antiquitätengeschäfts. „Wir haben heute schon Verdienstausfall. Dieser Besuch bringt uns nur Nasse.“ Der Besitzer des Schmuckladens schräg gegenüber sagt: „Ich bin nur traurig über so viel Blödsinn. Als Olaf Palme hier war, wurde nicht so ein Fez gemacht.“ Er fühlt sich an DDR-Zeiten erinnert. „Selbst da wurden die Gullydeckel nicht zugeschweißt.“

Am Neuen Markt, gegenüber der Marienkirche, stehen die von der Deutschen Friedensgesellschaft eingeladenen „Amerikanischen Großmütter gegen den Krieg“ mit schwarzen T-Shirts: „We will not be silent“. Ein Mann mit Latzhose und Vollbart spielt Geige, „Drei Chinesen mit dem Kontrabass“. Den Text hat er dem Besuch angepasst. Er singt von „drei Polizisten mit dem Kontrabass“, von „einer Tüte Anthrax“ und „potenziellen Terroristen“.

Am Hafen begrüßen inzwischen die Grünen Bush. Ein Mann kauert in einem orange Overall mit Kapuze überm Kopf in einem Käfig. Davor steht Grünen-Chefin Claudia Roth mit einem Transparent: „Kein Mensch verdient Guantánamo. Stop it now!“ Bemerkt wird sie dort von mehr Journalisten als Stralsundern – und sicherlich nicht von Bush.