teigelers urlaubsvertretung
: Take that you cunt!

„Für mich ist die Mutter heilig.“ (Marco Materazzi)

Fußballspieler sind seltsame Menschen. Sie rasieren sich nach dem Training unter der Dusche gegenseitig den Intimbereich und beschimpfen sich 90 Minuten lang auf dem verbalen Niveau von Bierkutschern. Und manchmal versetzt ein Fußballer dem anderen einen Kopfstoß auf den Brustkorb. Zinedine Zidanes vorstädtisches Verhalten im WM-Finale hat zu komischen öffentlichen Reaktionen geführt. Lippenleser führen schlimme verbale Entgleisungen von Zidanes italienischem Gegenspieler Marco Materazzi als Grund für den Ausraster des Franzosen ins Feld. Zidane wird zum Opfer hochstilisiert, zum menschgebliebenen gerechten Rächer.

Dabei gehören trash talk, kommunikatives Grätschen und plumpe Beleidigungen leider zum Fußball wie Zuschaueraggressionen, Funktionäre oder ARD/ZDF-Fernsehkommentatoren. Amerikanische Sportsoziologen halten Boxlegende Muhammad Ali für den Erfinder des Verbalsports. Man schrieb das Jahr 1964. Der Größte derbleckte seinen Gegner Sonny Liston, beschimpfte ihn als „dicken, häßlichen Bär“ – und hörte danach nie mehr auf, seine Kontrahenten auch rhetorisch auszuknocken. Eine Theorie: Der „trash talker“ rede viel und schmutzig, um sich selbst zu helfen, weniger um den anderen zu irritieren, wollen New Yorker Sportpsychologen herausgefunden haben.

Englische Historiker halten das „verbal bullying“ (Schikanieren) für eng verbandelt mit der Aneignung des Fußballs durch die Arbeiter im 19. Jahrhundert. Spieler, Trainer und Supporter redeten auf und neben dem Platz genauso wie in den Docks und Fabriken des industriellen England. Legende sind Fußballer von der Insel wie Roy Keane oder Dennis Wise, die diese nicht besonders feine „working class masculinity“ auf dem Platz auch sprachlich auslebten. Als der Ire Keane einmal ein übles Revanchefoul beging, soll er dabei ausgerufen haben: „Take that you cunt!“. Bis zum heutigen Tag ist der britische Fußball nur zum Teil „fair“.

Auch bei uns sollen von der Kreis- bis zur Bundesliga sexistische, grob unsinnige oder rassistische Beleidigungen vorkommen. Als Jugendfußballer in den 1980er Jahren spielte ich oft gegen Teams mit hohem Migrantenanteil – damals nannte man das anders. Die meist türkischen Einwanderer spuckten fortlaufend übelklingende Injurien aus. Umgekehrt werden viele multikulturelle Amateurteams bis heute fremdenfeindlich provoziert. Das ist gewiss traurig. Aber warum sollte der Fußball politisch korrekter sein als der Rest der Gesellschaft? Wer die Zidane-Materazzi-Affäre zum Skandal hochschreibt, hat von Fußball so viel Ahnung wie – sagen wir: Reinhold Beckmann.

MARTIN TEIGELER