Techno lässt die Muskeln spielen

Nach zwei Jahren Zwangspause tanzen am Samstag wieder die Raver durch die Stadt. Doch bei dieser Loveparade ist einiges anders: Statt Dr. Motte regiert ein Muckibudenbesitzer, die DJs wurden online ausgewählt, Drogen sollen keine Rolle spielen

VON NINA APIN

Es gab in den vergangenen 17 Jahren genug Gründe, die Loveparade zu hassen: Heerscharen zugedröhnter Provinzler mit zweifelhaftem Musikgeschmack verstopfen seit 1989 fast alljährlich Straßen und Clubs, terrorisieren Anwohner mit ihrem Techno-Gewummer, trampeln den Tiergarten nieder und hinterlassen Tonnen von Müll. Als die Massenveranstaltung aufgrund mangelnder Sponsoren in den letzten beiden Jahren pausieren musste, herrschte – vorsichtig formuliert – nicht nur Trauer.

Jetzt raven die Massen wieder. Aber statt „Friede, Freude, Eierkuchen“ könnte man das Motto der diesjährigen Parade mit „Muskeln, Millionen und Mülltrennung“ umschreiben. Die Fitnessstudiokette McFit, die bundesweit 63 Filialen unterhält, übernimmt als Hauptsponsor 2 von insgesamt 3 Millionen Euro Veranstaltungskosten. Das Engagement des Muckibudenbetreibers hört beim Geld nicht auf: McFit hat der Techno-Traditionsveranstaltung ein ganz neues Konzept verpasst.

Durchorganisiert, sauber und basisdemokratisch soll es nach dem Willen des McFit-Geschäftsführers und Loveparade-Mitgesellschafters Rainer Schaller zugehen: Um die Belastung für Anwohner und den überstrapazierten Tiergarten so gering wie möglich zu halten, kaufte er zielgerichtetere Lautsprecher, lässt Ohrenstöpsel verteilen und verlagert die Veranstaltung eine halbe Stunde früher als bisher von der Straße in die Clubs.

Tausend private Securitykräfte sollen entlang der Umzugsstrecke für Sicherheit sorgen. Als „Loveguards“ geschulte McFit-Mitarbeiter sollen mit einem Erste-Hilfe-Koffer durch die Menge patrouillieren und Traubenzucker, Kondome und Broschüren des Drogennotdienstes an offensichtliche Kandidaten verteilen. Auch Alkoholexzesse sind bei der neuen, fitten Loveparade nicht mehr erwünscht: Ausgeschenkt werden nur Bier und Mixgetränke mit einem Alkoholgehalt von weniger als 8 Prozent.

Mit der Einsicht „Wer in einem fremden Wohnzimmer feiert, muss auch aufräumen“ präsentieren sich Schaller und seine Saubermänner zudem als umweltfreundliche Musterknaben. Dass die Loveparade GmbH erneut in vollem Umfang für die Müllentsorgung aufkommt, ist löblich, genauso wie das im Vorfeld mit den Berliner Stadtreinigungsbetrieben (BSR) entwickelte Müllvermeidungskonzept mit Pfand, Mülltrennung und 1.000 kostenlosen Dixiklos. Ein wenig streberhaft mutet es dann aber doch an, dass die Fitnesskette den BSR-Mitarbeitern ein kostenloses Ausgleichstraining angedeihen lässt, die bedruckten Abdeckungen der „Floats“ genannten Technomobile zu Taschen recyclen lässt und eilfertig versichert, etwaige Mehreinnahmen für wohltätige Zwecke zu spenden.

Vor lauter Sauberkeit und Redlichkeit könnte man fast vergessen, dass es bei der ganzen Angelegenheit eigentlich um Musik geht: Bei der jüngsten Pressekonferenz saß kein einziger DJ mit am Tisch, dafür aber eine Sprecherin der BSR; statt musikalischer Highlights wurden der Öffentlichkeit schwarze und orangene Mülltonnen präsentiert.

Dabei liegen die größten Neuerungen der diesjährigen Loveparade gerade in der Musik: Nach 17 Jahren öffnet sich dieses Fest des Mainstream-Techno endlich ein wenig für andere Spielarten der elektronischen Tanzmusik wie Drum’n’ Bass, Minimal oder House sowie für die Musikszenen anderer Länder. Neben den üblichen Verdächtigen wie Westbam oder Paul van Dyk legen diesmal auch DJs abseits des ganz großen Massenmarkts auf, darunter die Mediengruppe Telekommander oder das DJ-Team aus dem Münchner Club „Harry Klein“. Zusätzlich wird es auf elf Bühnen Live-Auftritte von „echten“ Bands wie Mia geben – ein Novum auf einer Veranstaltung, die sich bis dahin streng der Konserve verpflichtete.

Dass neben Großraumclubs auch DJs aus China, Indien, Polen oder Griechenland dabei sein können, liegt daran, dass die Fahrt auf den „Floats“ nicht mehr 25.000 Euro Startgebühr kostet, sondern gar nichts. Paradoxerweise könnte der Einsatz eines Großsponsors damit eine Entkommerzialisierung der Musik zur Folge haben. Auf den ersten Blick tun die veränderten Startbedingungen der musikalischen Besetzung gut, ebenso wie das neuartige Auswahlverfahren: Welches DJ-Team aus einem Land teilnehmen durfte, entschied nur zur Hälfte eine Kommission von Techno-Sachverständigen. Die andere Hälfte wurde von Internetnutzern per Online-Voting auf der Website der Loveparade bestimmt.

Als Abgesandte Chiles wird deswegen auf dem Float Nummer 9 das Team von Euphoria sitzen. Manuel Martinez, der in Santiago eine DJ-Schule betreibt, freut sich, vom Publikum auserwählt worden zu sein. „In Chile ist der minimalistische Berliner Stil sehr prägend“, sagt er. Martinez freut sich, zum Ursprung der Einflüsse zu reisen, auch wenn ihm einige der Berliner Minimal-Protagonisten schon bestens bekannt sind: Ricardo Villalobos, Chica Paula und Dinky sind selbst Chilenen und legen gerne in ihrer Heimat auf.

Martinez selbst ist ein Urgestein der chilenischen Technoszene: Vor sieben Jahren veranstaltete er den ersten Rave, zu dem gerade mal 500 Leute kamen. Vor zwei Jahren kaufte er die Rechte an der Marke Loveparade für ganz Südamerika. Letztes Jahr tanzten unter deren Logo 400.000 euphorisierte Technofans durch die Straßen von Santiago.

Martinez begrüßt die musikalische Erneuerung des deutschen Mutter-Events. „Elektronische Musik ist unheimlich vielfältig geworden. Es wird Zeit, dass man das auch in Berlin hört und sieht“, sagt der Chilene, der mit seinem muskelgestählten und braungebrannten Body vermutlich so aussieht, wie sich der neue Sponsor den idealen Loveparade-Teilnehmer vorstellt.

Bei so vielen neuen Gesichtern fällt fast gar nicht auf, dass ein altes fehlt: Der schmächtige Spandauer Brillenträger Matthias Roeingh, der als Dr. Motte zu den Erfindern der Parade gehört, darf dieses Jahre keine Liebesansprache ans Partyvolk richten. Seine esoterischen Reden am Großen Stern, bei denen er die heilende Kraft der Musik, die Harmonie in der Masse und den Weltfrieden beschwor, galten in der Anfangsphase der Parade noch als Kult. Doch mit der Zeit nutzte sich die Wir-lieben-uns-alle-Lyrik etwas ab, Mottes Einlassungen wurde nur noch als peinliches Ritual geduldet.

Einen pathetischen Schlusspunkt wird es aber auch dieses Jahr am Großen Stern geben. Der Sänger der Band Reamonn wird eine Hommage an Mark Spoon singen. Der Frankfurter DJ, Produzent und Lebemann war im Januar mit gerade mal 40 Jahren den Folgen seines wilden Lebensstils erlegen.

Dr. Motte, der nach einem Zerwürfnis mit den neuen Veranstaltern im Streit ausgestiegen ist, hat für das neue Musikkonzept nur Verachtung übrig: Über die Entsendung der richtigen DJs hätte man besser komplett einen Sachverständigenrat entscheiden lassen, das Publikum habe dafür nicht genügend musikalische Kompetenz. Ganz beleidigte Leberwurst, bedauerte Motte, dass mit ihm der „Nabel der Szene“ fehle. Der Loveparade-Vater kündigte an, am Wochenende Berlin zu verlassen und sich dafür der alternativen Gegenveranstaltung „Fuckparade“ am 29. Juli anzuschließen.

Ob die selbsterklärten Hüter des technoiden Undergrounds Mottes Liebesrhetorik brauchen, ist fraglich. Aber irgendwo müssen all die Brillenträger und durchgefeierten Gestalten der alten Technobewegung ja hin, jetzt wo die Hauptparade ganz im Dienst der körperlichen und geistigen Fitness steht. Vielleicht hat McFit mit seinem strammen neuen Engagement damit auch der Fuckparade einen neuen Sinn gegeben.