„Es wird neue Stars geben“

Jean-Marie Leblanc, scheidender Direktor der Tour de France, weint Jan Ullrich und Ivan Basso keine Träne nach und sieht auch ohne die gefallenen Helden das interessanteste Rennen seit Jahren

INTERVIEW SEBASTIAN MOLL

taz: Jean-Marie Leblanc, Sie haben den Doping-Skandal der Tour 1998 als Direktor miterlebt und den Skandal in diesem Jahr als Vizedirektor. Wo liegen die Unterschiede?

Jean Marie Leblanc: 1998 war ein Chaos. Wir hatten jeden Tag eine neue Situation, auf die wir reagieren mussten. Dieses Jahr wurde die Affäre um Eufemiano Fuentes [spanischer Dopingarzt, in dessen Labor Blutkonserven von vermutlich Jan Ullrich, Ivan Basso und anderen prominenten Fahrern lagerten; die Red.] sechs Wochen vor der Tour bekannt und wir bekamen drei Tage vor dem Start die Dokumente, die wir erwartet hatten. Wir konnten uns also viel besser auf die Dinge einstellen. Der Internationale Radsportverband UCI hat ja erwartungsgemäß nichts unternommen. Zum Glück haben dann die Mannschaftsleiter beschlossen, die belasteten Fahrer heimzuschicken. Wenn sie nicht reagiert hätten, hätten wir jedoch das Gleiche getan, was sie getan haben. Ungeachtet der juristischen Konsequenzen.

Welche wirtschaftlichen Auswirkungen hatte der Skandal von 1998 auf die Tour und welche Auswirkungen erwarten Sie in diesem Jahr?

Uns ist 1998 ein Sponsor verloren gegangen und die Einschaltquoten sind für ein paar Tage in den Keller gegangen. In diesem Jahr habe ich im Gegenteil per E-Mail und Fax Glückwünsche von allen Sponsoren dafür bekommen, wie gut wir die Situation gehandhabt haben.

Der französische Fahrer Jé rôme Pineau hat in der vorigen Woche gesagt, dass jetzt, da die Dopingsünder weg sind, die Tour keine „Tour der zwei Geschwindigkeiten“ mehr ist, wo die Gedopten vorneweg fahren und die Ungedopten kaum mitkommen. Finden Sie das auch?

Ich habe nie von einer Tour der zwei Geschwindigkeiten gesprochen. Für mich ist das keine Frage der Geschwindigkeit. Und auch nicht der Nationalität. Ich glaube etwa nicht, wie viele Franzosen das behaupten, dass die Franzosen sauber sind und alle anderen gedopt. Für mich gibt es nur ehrliche Fahrer und nichtehrliche Fahrer. Und ich habe im Moment durchaus das Gefühl, dass unter den ehrlichen Fahrern ein Geist der Befreiung herrscht.

Viele Zuschauer haben nach der ersten Bergetappe bemängelt, dass das Rennen langweilig und unübersichtlich ist. Braucht die Tour de France nicht ihre Stars?

Ach was, ich finde das Rennen im Gegenteil so, wie es ist, viel interessanter. Es wird eben nach dieser Tour neue Stars geben. Als Miguel Induráin [spanischer Seriensieger von 1991 bis 1995; die Red.] das erste Mal gewann, war er auch noch kein Star. Vielleicht bekommen wir ja dieses Jahr auch einen Übergangssieger, der nur einmal gewinnt, so wie Pedro Delgado, Stephen Roche, Bjarne Riis oder Marco Pantani. Und in den Jahren, in denen diese Männer gewonnen haben, war die Tour ja auch nicht weniger spannend.

Wer ist für Sie der Favorit?

Ach, es sind noch viele im Rennen. Paolo Salvodelli ist noch nicht geschlagen, Floyd Landis ist noch nicht geschlagen, und ich hoffe, dass Andreas Klöden in die Kapitänsrolle hineinwächst.

Sie haben gesagt, dass Ihnen die Affäre um Fuentes Ihre letzte Tour verdorben hat. Sind Sie unzufrieden, wie Sie die Tour nach 25 Jahren hinterlassen?

Ich habe das nie so gesagt und ich bin sehr zufrieden damit, wie ich die Tour hinterlasse. Die Organisation wird immer besser, unser Standing als Sportveranstaltung ist hervorragend. Die Tour war im internationalen Vergleich nie bedeutender als heute. Und wir haben in den vergangenen acht Jahren große Fortschritte im Kampf gegen das Doping gemacht, auch wenn wir damit noch lange nicht fertig sind.

Als 1999 die Ära Lance Armstrong begann, haben Sie ihn nach dem Skandal von 1998 als Symbol der Hoffnung empfunden. Wie enttäuscht sind Sie von Armstrong und wie viel Schaden hat er der Tour zugefügt?

Ich habe das schon 100 Mal betont – ich halte mich an die Fakten. Es ist für mich erwiesen, dass er 1999 gedopt hat, aber wir wissen nichts über die Jahre 2000 bis 2005. Insofern kann ich die Armstrong Ära nicht komplett als Doping-Ära abtun.

Wie enttäuscht sind Sie von Jan Ullrich?

Als er 1997 gewann, war das ein großartiger Sieg und wir alle dachten, er würde danach fünf Mal gewinnen. Ich weiß nicht, was danach mit ihm passiert ist. Seine Karriere ist in der Tat eine Enttäuschung.

Was machen Sie im kommenden Jahr, wenn Sie nicht mehr bei der Tour arbeiten?

Ich werde meine Memoiren schreiben, in denen ich alle diese Dinge, die ich Ihnen und Ihren Kollegen immer wieder sage, ein für alle Mal aufschreibe. Und natürlich habe ich auch viele gute Erinnerungen und nicht nur schlechte. Außerdem werde ich mich öffentlichen Dingen in meiner Heimatregion und meiner Liebe, der Musik, widmen.