Geschichte, seifig

Sat.1 versucht sich von Sonntag an einmal pro Woche an einer History-Soap zwischen oben und unten („Unter den Linden“, ab 16. Juli, 19.15 Uhr)

„Schließlich sind wir Preußen, unsere Muttermilchwar Disziplin“

VON CLEMENS NIEDENTHAL

Unter den Seerosen – denn die hängen „Unter den Linden“ über dem Esstisch. In der Industriellenvilla, in 1906, wo mit goldenen Löffeln das Bürgertum speist. Unter Claude Monets Seerosen, um genau zu sein. Denn just jene Ikone des Impressionismus hat die Hausherrin der Gravenhorsts in der Kunsthandlung von Paul Cassierer erstanden.

Und drunter, um das gleich schon einmal vorweg zu nehmen, geht von nun an nichts: Der Kaiser, der Cassierer, Sigmund Freud und die Psychoanalyse, das Kolorit einer Epoche wird in „Unter den Linden – das Haus Gravenhorst“ mit solcher Strebsamkeit vorgeführt, dass man meinen könnte, Guido Knopp habe das Drehbuch noch einmal gegengelesen.

Und wahrscheinlich hat der konservative Geschichtsonkel des ZDF herzhaft über die ungelenken Versuche von Sat.1 gelacht, eine Weekly-Soap als sozialliberales Retrofernsehen zu inszenieren. Ausgerechnet das schöne Kind aus bestem Hause, ausgerechnet die „GZSZ“-erprobte Nina Bott wird da zur Tochter Courage der Hinterhöfe. Wo sich aber „Nesthäkchen“ und „Trotzkopf“ – um beim ZDF und im ausgehenden Kaiserreich zu bleiben – in ihrem Spiel mit den Schmuddelkindern noch selbst schmutzig machen durften, strahlt Friederike Gravenhorst immer im lichtesten Seidenkleidweiß. Fast mag man in ihr eine märchenhafte Erscheinung, ein Schneewittchen erkennen. Hätte sie nicht gleichzeitig wilden Sex mit dem Kutscher aus dem Souterrain. Woraufhin sie, spiel nicht mit den Schmuddelkindern, stante pede zur Tante nach Cornwall verschickt wird. „Schließlich sind wir Preußen, unsere Muttermilch war Disziplin.“

Das ist also die eine Geschichte „Unter den Linden“. Die andere, die aus dem Souterrain, erzählt von der mittellosen Anna (Annekathrin Bach), die nach einem halbherzigen Selbstmordversuch in der Dienstmädchenschürze der Gravenhorsts landet. Und sich als ach so patentes, herzensgutes Mädchen entpuppt.

Den Sendeplatz und das Sendeformat vor Augen, darf schon einmal gemutmaßt werden, ob sie sich letztlich als uneheliche Tochter des Kaisers, mindestens aber des Schokoladenfabrikanten Gravenhorst entblößt. Jedenfalls wohnt ihr ein dunkles Geheimnis inne, worauf schon in den ersten Folgen der wissende Augenaufschlag von Hausdiener Carl verweist.

Während die Handlung in gewohnten Bahnen plätschert, vermag immerhin das Personal zu überraschen: „Polizeiruf“-Kommissar Jaecki Schwarz und Horst Krause, der Schulze aus „Schulze get’s the Blues“), um nur zwei zu nennen. So viel darstellerische Qualität war selten auf solch dünnem Parkett. Weswegen „Unter den Linden“ immer wieder ins Komödiantische kippt. Einfach weil sich das unterforderte Gestenrepertoire manches Darstellers für kurze, lichte Augenblicke über die Handlung erhebt.

Und so mimt Peter Prager das Familienoberhaupt Arthur Gravenhorst in der Manier eines Provinzbühnenfürsten. Fast autistisch gibt er den Flaneur, den Melancholiker, den Hans im Glück: „Hängen Sie den Bummelanzug raus, ich will heute faulenzen.“ Allzu viele Anstrengungen dürften ihm auch die Drehtage zu „Unter den Linden“ nicht abverlangt haben.