Kein Schwein will Massentierhaltung, aber zu viele immer noch Schnitzel

WISSEN Der neue „Fleischatlas“ von „Le Monde diplomatique“ – erhellend

„Der Mensch ist, was er isst“ – so weltbekannt das Zitat des Philosophen Ludwig Feuerbach wurde und so oft es bis heute im Munde geführt wird, wenn von Ernährung und Essen die Rede ist, so wenig wird es heute noch verstanden. Als „Vater des Materialismus“ ging Feuerbach davon aus, dass der Mensch nichts anderes als sein Stoffwechsel sei und eine richtige Ernährung zwangsläufig auch die richtige Gesinnung hervorbringe.

Umgekehrt sei allein die richtige Gesinnung von schlecht genährten Revolutionären niemals hinreichend gegen gut genährte Reaktionäre – weshalb die irischen Kartoffelesser und ihr „träges Kartoffelblut“ auch nie eine Chance hätten gegen die englischen Unterdrücker, die dank Rindersteaks vor Elan nur so strotzten.

Und so folgt bei Feuerbach auf das berühmte Bonmot ein Satz, den heute niemand mehr wirklich unterschreiben würde: „Wer nur Pflanzenkost genießt, ist auch nur ein vegetierendes Wesen, hat keine Tatkraft.“

Der Mensch ist also ein wenig mehr als das, was er isst – und er weiß heutzutage mehr darüber, was er isst und welche Konsequenzen das für ihn und die Welt hat. Oder er könnte es zumindest wissen, wenn er nicht gar zu oft bewusstlos in sich reinstopfte, was Agroindustrie und Fast-Food-Konzerne ihm vorsetzen. Insofern müsste man die Maxime des Kartoffelhassers Feuerbach fortschreiben: Menschen sollten wissen, was sie essen.

Und – so wäre nach der Lektüre des „Fleischatlas 2014“, den die Heinrich-Böll-Stiftung, der BUND und Le Monde diplomatique herausgegeben haben – sie wissen immer noch zu wenig, sonst würden sie anders essen. Auf den Verpackungen von Würstchen, Burgern oder des Fleischs aus dem Supermarkt steht jedenfalls nichts davon, dass die globale Fleischproduktion unmittelbar für die Vernichtung des Amazonas-Regenwalds sorgt und wie Agrarexporte sich auf Armut und Hunger in afrikanischen Ländern auswirken, auf Vertreibung und Migration ebenso wie auf den Klimawandel und die Zerstörung der Artenvielfalt.

Neben den vielfältigen Informationen und hervorragenden Infografiken über den unersättlichen Weltmarkt für Fleisch, die fortschreitende Konzentration einer globalisierten Großindustrie, die Hormone, Antibiotika und Genmanipulationen, die durch das Freihandelsabkommen mit den USA nach Europa kommen sollen, die osteuropäischen Dumpingmetzger in Deutschlands Schlachthofbranche, die Vergeudung von Ackerland für Tierfutter, die fleischhungrige Mittelklasse in ökonomisch prosperierenden Ländern, der weltweiten Zunahme der Hühnerfabriken – neben diesen dicken Brocken über die fatalen Folgen industrieller Tierhaltung hat der „Fleischatlas“ aber auch ein paar Sahnehäubchen guter Nachrichten zu bieten.

Allen voran jene, dass der Fleischkonsum in Deutschland im vergangenen Jahr um 2 Prozent zurückgegangen ist. Und dass eine sinnvolle, sozial und ökologisch vertretbare Viehwirtschaft in der EU möglich ist, wenn man sie denn gegen die Großindustrialisierung durchsetzt. Wenn wir wissen, was wir essen, lernen wir auch, dass Ernährung nicht reine Privatsache ist, sondern konkrete Auswirkungen hat – nicht nur auf unser Leben, sondern auf das aller Menschen, Tiere und Pflanzen, nicht nur hier vor Ort, sondern rund um die Welt.

Was Fleisch betrifft, bietet dieser Atlas mit farbigen Grafiken auf 50 Seiten einen äußerst konkreten Anschauungsunterricht, an dessen Ende nicht gleich die Konversion zum Vegetarismus stehen muss, aber doch die eindeutige Erkenntnis, dass in Sachen Steaks und Schnitzel ein andere weltbekannte Maxime gilt: „Weniger ist mehr.“ ROLF ACHTECK

Appetit? Der „Fleischatlas 2014“ liegt der aktuellen Le Monde diplomatique bei – an jedem Kiosk oder im taz-Shop für 3,90 Euro