WOLFGANG GAST LEUCHTEN DER MENSCHHEIT
: Die Mär vom Einzeltäter

Der Anschlag auf das Oktoberfest in München vor 33 Jahren ist nach wie vor nicht geklärt. Am 26. September 1980 explodierte um 22:19 Uhr in einem Papierkorb am Haupteingang der „Wiesn“ eine Bombe. Sie bestand aus einer geleerten Mörsergranate, die mit rund 1,4 Kilogramm Sprengstoff gefüllt und in einen mit Schrauben und Nägeln gefüllten Feuerlöscher gesteckt worden war. 13 Menschen kamen bei dem bis heute folgenreichsten Anschlag in Deutschland ums Leben, 211 wurden verletzt.

Der Täter war schnell ausgemacht. Die offiziellen Ermittlungen der Karlsruher Bundesanwaltschaft und des bayerischen Landeskriminalamts ergaben, der rechtsextreme Gundolf Köhler aus Donaueschingen habe als sozial isolierter und verbitterter Einzeltäter gehandelt. Köhler, der direkt neben der Bombe stand, wurde bei der Explosion so stark entstellt, dass er nur anhand seines bei ihm gefundenen Reisepasses identifiziert werden konnte. So weit das offizielle Ermittlungsergebnis.

Wobei den Fahndern durchaus bekannt war, dass Gundolf Köhler Mitglied der rechtsextremen „Wehrsportgruppe Hoffmann“ (WSG) in Mittelfranken war. Und die Fahnder wussten auch, dass die WSG zum Zeitpunkt des Anschlags einen Konvoi ausgemusterter Bundeswehrfahrzeuge in den Libanon überführte und dass der Trupp in der Tatnacht die Stadt München passiert hatte. Alles Zufall?

Darüber hinaus wollen Zeugen beobachtet haben, wie Gundolf Köhler unmittelbar vor der Detonation mit anderen Personen heftig diskutierte. Köhler galt bei den Fahndern – und später vor Gericht – dennoch als Einzeltäter.

Im Dezember 1980 war Bundestagswahlkampf. Bayerns Ministerpräsident Franz-Josef Strauß forderte den SPD-Kanzler Helmut Schmidt heraus. „FJS“, wie der begnadete Polemiker im Freistaat genannt wurde, machte unmittelbar nach dem Attentat den Bonner Koalitionspartner FDP und speziell dessen liberalen Innenminister Gerhart Baum als Verharmloser des „linken Terrors“ für das Attentat mitverantwortlich.

Gescheitere Aufklärung

Da wusste Strauß noch nicht, dass Köhler an Wehrsportübungen der Hoffmann-Truppe teilgenommen und sich dort einen Ruf als Sprengstoffexperte gemacht hatte. Hoffmann selbst wies alle möglichen Verbindungen zu seiner Wehrsportgruppe umgehend zurück. Er behauptete, der Anschlag sei einzig zu dem Zweck inszeniert worden, um ihn, den deutschen Patrioten, als das zu diskreditieren, was er doch nie gewesen sei: ein Rechtsextremist, ein Nazi.

Einer der wenigen, der die Legende um den Einzeltäter Gundolf Köhler hartnäckig hinterfragt und immer wieder auf das rechtsextreme Netzwerk rund um die Wehrsportgruppe Hoffmann hingewiesen hat, ist der Münchner Journalist Ulrich Chaussy. Sein Buch „Oktoberfest. Das Attentat“ ist seit Anfang der Woche im Handel (Ch. Links Verlag, Berlin 2014). Es ist nicht sein erstes zum Thema, und unter dem Titel „ Der blinde Fleck. Täter, Attentäter, Einzeltäter?“ ist die Geschichte der jahrelangen Recherchen Chaussys seit Donnerstag im Kino zu sehen (Regie: Daniel Harrich, Hauptrollen: Benno Fürmann, Heiner Lauterbach und Miroslav Nemec). In die Arbeiten zum Drehbuch platzte die Nachricht von der Mordserie des Nationalsozialistischen Untergrunds (NSU).

Die Geschichte des Oktoberfestattentats und seiner gescheiterten Aufklärung, schreibt Chaussy in seinem Nachwort, „erwies sich als Vorgeschichte, als ein lange schon bestehender blinder Fleck in der Wahrnehmung der Gefahren des Rechtsextremismus“. Ob NSU oder WSG, Chaussys bitteres Fazit lautet: „Auf die Vorstellung vom Einzeltäter waren viele Ermittler vollständig fixiert“, obgleich sie bei der Ermittlungen reichlich Anlass gehabt hätten, ihren Blick zu weiten. Dem ist nichts hinzuzufügen.

■ Der Autor ist Redakteur der taz Foto: privat