Wo Lieblinge schwitzen

TRAININGSLAGER Nirgendwo bereiten sich Europas Fußball-Profis so gern auf die neue Saison vor wie in Österreich. Warum bloß?

„Das klare Ziel war, für eine bessere Auslastung der Hotels und Thermen zu sorgen“

WILLI RUTTENSTEINER, ÖFB

AUS GOING CHRISTIAN OTTO

Der laute Jubel über die vielen Volltreffer wirkt wie ein Lockruf. Es gehört schon zur Tradition beim VfL Wolfsburg, dass sich die Spieler während ihres Sommer-Trainingslagers in Österreich als Scharfschützen versuchen dürfen. Die Auftritte von Edin Dzeko und Co als Biathlon-Laien, die sich nach körperlichen Belastungen wie Sprints auf den Punkt genau beim Zielen konzentrieren müssen, sorgt für Ablenkung bei den Profis – und den Touristen gleichermaßen.

Selbst die im Ligavergleich eher noch unpopulären Wolfsburger locken neugierige Fans in die Ferne: Es hat sich herumgesprochen, dass ein Urlaub in Österreich für alle jene ein Geheimtipp ist, die ihre Fußball-Lieblinge einmal ganz intim beobachten wollen. 12 von 18 Bundesligisten drehen derzeit in der Alpen-Republik ihre Runden – und locken dabei die Zaungäste in Scharen an.

Als Antwort auf die Frage, warum sich Österreich im Sommer zum Mekka für schwitzende und keuchende Fußballprofis entwickelt hat, genügt in der Regel ein Blick auf die herrliche Kulisse. Die Wolfsburger haben sich im beschaulichen Going bei Kitzbühel in eine äußerst exklusive Tallage mitten in den Tiroler Alpen eingemietet, die keine Wünsche offen lässt. „Das Klima, die Rasenplätze und die Bedingungen hier sind perfekt. Und es ist auch einmal wichtig, die Spieler aus ihrem gewohnten Umfeld zu reißen“, sagt Steve McClaren.

Der neue Wolfsburger Trainer, der zuvor in England und Holland erfolgreich gearbeitet hat, spricht aus Erfahrung. Mehr als 300 Topvereine aus 14 Ländern haben Österreich mittlerweile als beliebtestes Ziel für ihre Sommerreisen für sich entdeckt. „Bei den Spielern sind die Reisen nicht immer beliebt. Aber sie werden akzeptiert, weil in Österreich unter guten Bedingungen einfach richtig gut gearbeitet werden kann“, sagt auch Jörg Schmadtke, der als Sportdirektor von Hannover 96 eine Reise nach Bad Radkersburg gebucht hat.

Wo in diesen Tagen die Spieler von Werder Bremen und Hannover 96 ihre Schweiß treibenden Runden drehen, hat das österreichische Sommermärchen mit den boomenden Trainingscamps seinen Ursprung. Und zwar mit staatlichem Auftrag. „Wir haben in der Steiermark damit begonnen, schöne Trainingsplätze für prominente Klubs anzubieten. Das klare Ziel war, dort für eine bessere Auslastung der Hotels und Thermen zu sorgen“, sagt Willi Ruttensteiner, der Sportdirektor des Österreichischen Fußball-Bundes (ÖFB).

Was unter der Regie des tüchtigen Fußballmanagers Nikolaus Pichler zunächst in der beschaulichen Steiermark von Erfolg gekrönt war, hat sich zu einem echten Wettrüsten der österreichischen Bundesländer entwickelt, die sogar mit Hilfe von staatlichem Fördergeld um Gastspiele der großen Vereine wie Real Madrid und Arsenal London kämpfen. Beide Großklubs trainieren aber auch dieses Jahr wieder in der Steiermark, die Spanier in Irdning, die Engländer in Bad Waltersdorf.

„Der Tourismusverband hat das wirklich sehr clever und geschickt aufgebaut“, findet Dieter Burdenski. Der frühere Profitorhüter lebt als Geschäftsführer einer Event-Agentur mittlerweile auch davon, für deutsche Klubs die richtigen Plätze, Hotels und Testspielgegner zu finden. Und in letztem Punkt gibt es während der Sommermonate in Österreich alle nur erdenklichen Möglichkeiten, um seine Kräfte vor dem Saisonstart zu messen.

Schalke 04 schwitzt also in Irdning, Bayer Leverkusen im Zillertal, Mainz 05 in Flachau. Neben der guten Luft und einer möglichst kurzen Anreise freuen sich die Verantwortlichen der Bundesligisten in Österreich auch darüber, ihren Profis allerlei Ablenkung bescheren zu können. Sogenannte teambildende Maßnahmen wie rasante Floßfahrten, Mountainbike-Touren oder eben Luftgewehr-Schießeinheiten sollen den Muskelkater vergessen machen und dazu beitragen, dass sich altes und neues Personal innerhalb eines Kaders besser verstehen.

Touristen sind die Profis trotzdem nicht. „Ich bin zwar erst zwei Tage hier. Aber ich habe schon Schmerzen in den Beinen“, sagt Thomas Kahlenberg. Der Däne vom VfL Wolfsburg hat während der Laufeinheiten keinen Blick für das schöne Tiroler Alpenpanorama. Es gehört zum Kalkül der Vereine, dass sich ihr hoch bezahltes Personal in der Ferne ohne familiäres Umfeld auf das Wesentliche beschränken muss, nämlich das Erarbeiten von körperlichen und taktischen Grundlage für eine lange Saison.

Das mag für die Spieler vor allem anstrengend sein, für manche sogar ein Graus, hat sich aber für den Tourismus in Österreich zu einem Selbstläufer entwickelt. Bis zu 50.000 zusätzliche Übernachtungen pro Sommer entstehen mittlerweile nur deshalb, weil sich Touristen auf den Weg machen, um ihre Fußball-Lieblinge beim Schwitzen und Fluchen in einem gemäßigten Klima beobachten zu dürfen. „Die Aufenthalte der Vereine und die dazugehörige Medienberichterstattung sind für unser Land und unseren Fußball im Grunde unbezahlbar und äußerst wichtig“, sagt Verbands-Funktionär Ruttensteiner stolz.