Die Kunst und das Können

Für immer die Menschen, für immer die Pappkameraden: Hans Magnus Enzensbergers Erzählung „Josefine und ich“

Die Gestaltung dieses Buches suggeriert, dass man es hier mit etwas Besonderem zu tun hat, mit ganz, ganz arg feiner Prosa: In samtig schwarzen Moleskin hat der Suhrkamp Verlag Hans Magnus Enzensbergers Erzählung „Josefine und ich“ gefasst, das changiert haptisch zwischen schön weich und Kinderpopo und dann wieder nassem, dezent übel riechendem Kaninchen- oder Maulwurffell. Die FAZ gab dazu gleich als Immer-noch-Hauszeitung von Enzensberger (die verunglückte FAZ-Andere-Bibliothek!) das Begleitkonzert, flötete von einem „Ereignis“, das diese Veröffentlichung darstelle, nicht zuletzt, weil das letzte Prosastück von Enzensberger über dreißig Jahre zurückliegt, und druckte die Erzählung vorab.

Nur ist „Josefine und Ich“ kein Ereignis, nicht mal ein Ereignischen, sondern eine öde, in Tagebucheintragungen gehaltene Erzählung über die Bekanntschaft zwischen einem jungen Mann und einer alten Sängerin, Joachim und Josefine. Die gesamte Lektüre über fragt man sich, warum Enzensberger von der Begegnung und eigentümlichen Beziehung dieser beiden erzählt, worin für ihn die Notwendigkeit bestand, „Josefine und ich“ zu schreiben.

Eine dürftige Antwort bekommt man immerhin am Ende, in einem Postskriptum, da Joachim, der Erzähler, erläutert, dass ihm beim Aufräumen „diese beiden alten Wachstuchhefte in die Hand gefallen“ sind. Darin hatte er seine diensttäglichen Treffen und Gespräche mit Josefine in deren Villa festgehalten, und jetzt, fünfzehn Jahre später, ist es ihm peinlich, „diesem Unbekannten wiederzubegegnen, der mir ähnlich sieht und meinen Namen trägt“. Aber wenn er an Josefine denkt, kommt es ihm, dann vermisst er sie: „So wenig Sentimentalität. So viel Haltung. Ich wünsche jedem, der heute dreißig ist, eine Josefine. Nur fürchte ich, Menschen wie sie gibt es nicht mehr.“ Enzensberger erinnert also noch einmal an so einen Menschen, nur nicht sehr lebendig, sondern reichlich papieren. Josefine ist herrsch- und diskurssüchtig, aber nicht besonders redselig, wenn es um ihre Vita geht. Vor allem ist sie ein Pappkamerad von Hans Magnus’ Gnaden, der Versatzstücke aus Enzensberger-Essays zum Besten gibt und in einem Dreiklang aus Reaktion, Inkorrektheit und Provokation fad vor sich hin räsoniert. Josefine schätzt etwa den Opportunismus, „man sollte ihn verteidigen“, findet, dass Kunst von Können komme, schimpft über den Fortschritt oder verteidigt den US-Einmarsch in den Irak: „An solchen Gangstern wie diesem irakischen Bastard wird es der Menschheit niemals fehlen, dass sie ganze Völker ruinieren, wird ihnen offenbar nicht übel genommen.“

Wohlgemerkt, es sind die Jahre 1990 und 1991, in denen „Josefine und ich“ zeitlich situiert ist, was aber egal ist, denn dieses gerade für die Deutschen turbulente Jahr läuft gerade mal als Nachrichtentext und Stichworthalde mit. Genauso egal ist, was für ein Typ Joachim ist. Er ist Wirtschaftsexperte, geschieden, lernt eine neue Frau kennen, aber man will und braucht das nicht zu wissen. Nicht so egal ist, dass Enzensberger sein Stück, wie er hie und da offenbart (Josefine K., die geheimnisvolle, vermeintlich erfolgreiche Sängerin), an Kafkas Erzählung „Josefine, die Sängerin, oder Das Volk der Mäuse“ anlehnt. Diese handelt von der Faszination, die Josefines Gesangskunst, die gar keine ist, sondern nur in der Fantasie ihrer Zuhörer besteht, auf die Mäuse ausübt.

Dass Enzensberger da nicht rankommt, muss man nicht betonen. Dass aber seine Erzählung ein einziges Fragezeichen darstellt und überhaupt keinen Raum für Fantasien lässt, ist doch der Betonung wert. Wenigstens ist sie eine Aufforderung, Kafka wiederzulesen. Und auf besondere Buchgestaltungen zu verzichten: Nach Lektüre sieht nicht nur der Moleskineinband angegriffen aus, da beginnt auch das weiße Klebchen mit Autorenname und Titel erste hässliche Kratzspuren aufzuweisen. ALEXANDER LEOPOLD

Hans Magnus Enzensberger: „Josefine und ich“, Suhrkamp Verlag, Frankfurt am Main 2006, 148 Seiten, 15 Euro