NRWs heimliche Schulden

Nordrhein-Westfalens Kommunen verschleiern ihre Finanzlage, kritisiert der Bund der Steuerzahler NRW. Immer mehr Städte verschulden sich mit kurzfristigen Krediten

VON MIRIAM BUNJES

Essens Haushalt ist auch offiziell nicht schön: Mehr als eine Milliarde Euro Schulden hat die Ruhrstadt, seit Jahren. „Eigentlich sind es noch deutlich mehr“, sagt Eberhard Kanski vom Bund der Steuerzahler NRW (BdSt). Der Haushaltsexperte des hauptsächlich von mittelständischen Unternehmen getragenen Steuerbundes zählt nämlich – anders als die amtliche Statistik – auch die kurzfristigen so genannten Kassenkredite zum Schuldenberg der Stadt. Fast 1,2 Milliarden Euro an Kassenkrediten hat die Stadt Essen im laufenden Haushaltsjahr aufgenommen und ist damit Spitzenreiterin eines NRW-weiten Trends.

Für insgesamt 10,5 Milliarden Euro haben die 396 NRW Kommunen im Jahr 2005 Kurzzeit-Darlehen aufgenommen, hat der BdSt in einer aktuellen Studie errechnet. „ Kassenkredite sind vergleichbar mit Dispositionskrediten von Privatleuten. Sie sind für kurzfristige Engpässe gedacht und nicht fürs Alltagsgeschäft“, kritisiert Kanski.

Die Kassenkredite sind in NRW schon lange viel mehr als eine Ausnahmelösung. „Es ist ein offenes Geheimnis, dass die Haushalte der Kommunen ohne die Kassenkredite gar nicht mehr funktionieren“, sagt Claus Hamacher, Finanzreferent des Städte- und Gemeindebundes NRW. „In ein paar Jahren brechen sie zusammen wie ein Kartenhaus.“ Auch die Zahlen des BdSt sprechen eine deutliche Sprache: Allein 2005 stieg die Summe der Kassenkredite um 14 Prozent.

Das Ausmaß der öffentlichen Schuldenberge werde durch die öffentlichen Statistiken verschleiert, kritisiert der Steuerzahler-Bund. Tatsächlich tauchen die Summen der Kassenkredite deutscher Städte auch in den Maastrichter Kriterien nicht auf: Diese Schulden deutscher Städte werden nicht an die Europäische Union gemeldet. „Dadurch wird der Blick auf Lösungen der Finanzmiseren verbaut“, sagt Kanski. Lösungen, die aus Sicht des BdSt ganz einfach sein können. „Die Stadt Essen besitzt RWE-Aktien in Höhe von einer Milliarde Euro. Diese Stadt muss nicht auch noch Aktionärin sein“, sagt Kanski. Die meisten NRW-Städte hätte eine Menge Tafelsilber, dass sie zur Sanierung ihrer Haushalte verwenden sollten, so Kanski.

„Das hilft uns vielleicht für ein Jahr“, sagt Günter Berndmeyer, Leiter der Essener Kämmerei. „Wenn wir unsere Vermögenswerte verkaufen, sitzen wir kurze Zeit später wieder in der gleichen Schuldenfalle – ohne Vermögen.“ Jeden Tag gibt die Stadt Essen rund eine Millionen Euro mehr aus, als sie einnimmt – so beschreibt Berndmeyer die Kassenlage der Ruhrgebietsstadt. 340 Millionen Euro Schulden hat das der Stadt allein im vergangenen Jahr eingebracht. „Alles, was wir einnehmen, geht allein für die Sozialausgaben drauf“, sagt Berndmeyer. „Wir haben hier viele sozial schwache Einwohner, also werden diese Ausgaben auch weiterhin so hoch bleiben.“ Alles andere wie Schwimmbäder, die Philharmomie, die Bibliotheken, Zuschüsse für Sportvereine und Musikschulen würde das Haushaltsbudget eigentlich sprengen. „Aber auch das gehört zu den Angeboten einer Stadt“, sagt Berndmeyer. „Deshalb nehmen wir Kredite auf.“

„Die Städte können nur aus den Schulden heraus, wenn sie ihre Angebote drastisch zurückfahren“, sagt Claus Hamacher vom Gemeindebund. „Niemand will den Bürgern derart wehtun, deshalb verschulden wir uns weiter.“ Ohne Entlastung von Bund und Land sieht er keine andere Möglichkeit. „Da die auch verschuldet sind, gibt es aber nur solche Neuerungen wie die Kürzung der Kindergartenbeiträge“, sagt Hamacher. „Das beschleunigt den Zusammenbruch“. Auch er sähe die Städte lieber ohne Kassenkredite. „Wenn da einmal die Zinsen hochgehen, reißt das Riesenlöcher in die Haushalte.“ Die Vorschläge des StBd halten Gemeindebund und NRW Städtetag für zu kurzfristig. „Tafelsilber kann man nur einmal verkaufen“, sagt Monika Kuban, stellvertretende Geschäftsführerin des Städtetages NRW.