Armut heißt jetzt Lebenslage

Nach langen Sträuben gibt Sozialsenatorin Schnieber-Jastram einen abgewandelten Armutsbericht in Auftrag. GAL und SPD, die den Bericht gefordert hatten, sind allerdings skeptisch, ob die Armut damit wirklich erfasst wird

Seit bald zwei Jahren streiten sich Opposition und CDU-Senat um die Frage, ob Hamburg einen neuen Armutsbericht braucht. Nachdem noch zu Jahresbeginn ein entsprechender GAL- und SPD-Antrag in der Bürgerschaft mit CDU-Mehrheit ablehnt wurde, lenkt Sozialsenatorin Birgit Schnieber-Jastram (CDU) nun ein. Sie werde eine „neue Lebenslagenberichterstattung“ einführen, die als „Daten- und Informationspool“ dienen solle. Die alte Methodik der Armutsberichte, erklärte sie, sei wegen mangelnder Aktualität und fehlender Handlungsansätze „unbrauchbar“ geworden.

Die geplanten Berichte sollen sich auf vier Schwerpunkte konzentrieren, die die Behörde „nacheinander“ abarbeiten wird. Zunächst soll bis Ende 2006 ein Bericht über die Lage von Menschen mit Migrationshintergrund erstellt werden, direkt gefolgt von einem über die Lage der Sozialhilfe- und Arbeitslosengeld II-Empfänger. Schließlich soll bis Mitte 2007 ein neuer Kinder- und Jugendbericht erstellt werden und ein Report über die Lage von obdach- und wohnungslosen Menschen.

„Wenn sich die Senatorin mit dem technokratischen Namen ‚Lebenslagenbericht‘ wohler fühlt, soll uns das recht sein“, erklärte gestern der sozialpolitische Sprecher der SPD-Fraktion, Dirk Kienscherf. Allerdings sei es „kein guter Stil“, dass sie dies in den Ferien ankündige und nicht schon in der letzten Sitzung des Sozialausschusses vor der Sommerpause erwähnt habe.

Auch sei es ein „Hohn“, wenn Schnieber-Jastram, dem Armutsbericht „mangelnde Aktualität“ vorwerfe. Kienscherf: „Sie war es, die dessen Erneuerung fünf Jahre lang hinauszögerte.“ Den letzten Bericht gab es 1997, den ersten davor 1992, beide auf Antrag der damals noch oppositionellen CDU.

Die GAL-Sozialpolitikerin Martina Gregersen kritisiert, dass die Lebenslagenberichte keine „umfassende Diagnose“ der Armut in dieser Stadt ersetzen. Die Senatorin doktere nur an vier Feldern herum, mahnt Gregersen, und würde wichtige Bereiche wie „Einkommensarmut, Überschuldung oder drohenden Wohnungsverlust“ nicht erfassen.

Nach Schätzungen der Wohlfahrtsverbände verzichten rund 100.000 Menschen in Hamburg auf Sozialleistungen, obwohl sie so wenig verdienen, dass sie ihnen zustünden. Laut Sozialbehördensprecherin Katja Havemeister sind allerdings vor der Erstellung der Berichte noch Gespräche mit den Wohlfahrtsverbänden geplant, um „all diese Punkte im Blick zu haben“.

Kaija Kutter