„Die Demo war nur noch Ritual“

Die traditionelle Demonstration gegen das Bundeswehr-Gelöbnis am 20. Juli ist abgesagt. Organisator Ralf Siemens hofft auf eine Wiederbelebung nach ein, zwei Jahren Pause

von ULRICH SCHULTE

taz: Herr Siemens, ist die Kampagne gegen die Wehrpflicht müde geworden?

Ralf Siemens: Nein. Wir erfreuen uns bester Gesundheit.

Warum fällt dann die Anti-Gelöbnis-Demo aus – erstmals seit zehn Jahren?

Es gibt mehrere Gründe. Zum einen haben wir jahrelang gegen ein Sondernutzungsrecht geklagt, das der Bezirk der Bundeswehr regelmäßig am 20. Juli, dem Tag des Attentats auf Hitler, einräumte. Deshalb durfte sie in einem riesigen Areal um den Bendlerblock ein Hausrecht ausüben und jeglichen Protest undemokratisch unterbinden. Wir konnten deshalb keine neuen Protestformen entwickeln.

Aber diesen Prozess haben Sie am Montag gewonnen. Müssten Sie nicht jetzt erst recht demonstrieren?

Das Urteil ist ein schöner Erfolg für uns. Aber mit dem Richterspruch hat so schnell keiner gerechnet, es sind nur noch ein paar Tage bis zu dem Termin. Hinzu kommt aber eine andere Entwicklung: Die klassische Demo war zu einem Ritual geworden, mit immer gleicher Route, immer gleichem Treffpunkt zur immer gleichen Zeit. Droht eine Demonstration zum Ritual zu werden, muss man auch den Mut haben, eine Tradition zu beenden.

Zumal sie auf viele etwas gestrig wirkte?

Das spielt da rein. Anfang der 90er-Jahre haben wir uns vor Züge gesetzt, um Öffentlichkeit herzustellen – dafür würden wir heute nur Kopfschütteln ernten. Sprich: Wenn wir uns mehr auf Inhalte konzentrieren, passen wir uns der gesellschaftlichen Entwicklung an.

Welche Folgen hatte die Ritualisierung, außer das weniger Leute kamen?

Es gelang uns immer weniger, Inhalte in die breite Öffentlichkeit zu transportieren. Die Medien haben sich nicht mehr dafür interessiert, warum wir auf die Straße gehen, sondern nur über irgendwelche Vorfälle berichtet. Allein die Tatsache, dass wir jetzt miteinander reden, zeigt doch: Ein formaler Akt, nämlich die Absage, sorgt für mehr Echo, als die Tatsache, dass die Bundeswehr jahrelang das Versammlungsrecht gebrochen hat.

Haben Sie nicht schlicht das Problem, dass die Öffentlichkeit Auslandseinsätze der Bundeswehr nicht mehr so kritisch bewertet wie früher?

Natürlich. Die Bundeswehr fährt gerade die Ernte ihrer Normalisierungspolitik seit Anfang der 90er-Jahre ein. Einsätze werden gesellschaftlich akzeptiert. Und die Friedensbewegung hat den Fehler begangen, sich zu einseitig auf Kriege der USA zu konzentrieren. Im Schatten der US-Angriffe geht die Bundesregierung aber einen ähnlichen Weg, nur ist es schwierig, die Leute dagegen auf die Straße zu bringen.

Woran liegt das?

Die Bundeswehr tritt in den Medien als Helfer auf, als Demokratiestifter, als moderne Form von Entwicklungshilfe. Das ist sie nicht. Die Motivation für die Einsätze sind machtpolitischer Natur. Müsste die Bundeswehr Kriege wie die USA im Irak führen, würde es auch zu einer Verrohung ihrer Soldaten, zu brutalen Taten kommen.

Aber es ist doch illusorisch, zu behaupten: Na ja, warten wir mal ein bisschen, dann interessieren solche Themen wieder mehr Menschen. Was macht Sie da so optimistisch?

Die Themen werden in Zukunft drängender sein: Der Kongo-Einsatz wird länger dauern, als uns der Verteidigungsminister weismachen möchte. In Afghanistan schlittern die Deutschen langsam in einen offenen Krieg hinein. Und die Unterbrechung von ein, zwei Jahren führt dazu, dass unser Protest nicht mehr als langweilig wahrgenommen wird, das ist eine Chance. Außerdem werden wir näher an das Gelöbnis herankommen – es wird spannender.