Kinder reisen auf eigene Gefahr

Im Fall des sexuellen Missbrauchs eines Sechsjährigen sieht die Staatsanwaltschaft keine Verletzung der Aufsichtspflicht des Reiseveranstalters. Die Tat geschah vor einem Jahr auf einer Kinderreise

von PLUTONIA PLARRE

Wer ohne Führerschein Auto fährt, wird bestraft, wenn ihn die Polizei erwischt. Wer ein Restaurant mit verdreckter Küche betreibt, verliert die Lizenz. Veranstalter von Kinderreisen indes bleiben ungeschoren, wenn ein Kind zu Schaden kommt. Das ist das bittere Fazit, das eine Mutter zieht, deren sechsjährige Sohn vor einem Jahr bei der Kinderreise eines anerkannten freien Trägers der Jugendhilfe von älteren Kindern sexuell missbraucht worden war. Wie ein Justizsprecher gestern bestätigte, ist gegen einen 15-jährigen Beschuldigten Anklage wegen wegen sexueller Nötigung erhoben worden. Das Ermittlungsverfahren wegen Verletzung der Fürsorgepflicht gegen die Geschäftsführer der gemeinnützigen Pfefferwerk Stadtkultur gGmbH ist hingegen eingestellt worden.

Gabriele X. hatte versucht, auf Qualität zu achten, als sie ihren Sohn Jakob Pfingsten 2005 mit dem Reiseveranstalter des Pfefferwerks, Wilder Pfeffer, für vier Tage nach Klein Wall bei Erkner auf Kinderreise geschickt hatte. Im Prospekt hieß es, die Kinder würden von gut geschulten Betreuern begleitet. Die zwei erfahrenen Pädagogen, die sich um die neun Kinder hätten kümmern müssen, gab es jedoch nicht. Einzige Aufsichtsperson war ein 1-Euro-Jobber, der von dem Vorfall, der in der Mittagspause im Kinderbungalow geschah, nichts mitbekam. Eigentlich darf ein 1-Euro Jobber nicht allein eine Gruppe betreuen.

Nach Recherchen von Jakobs Mutter hatte sich der Mann von der Kinderhorde überfordert gesehen und telefonisch beim Wilden Pfeffer in Berlin pädagogische Verstärkung angefordert. Die kam aber nicht. Und in noch einem Punkt fühlt sich Jakobs Mutter vom Pfefferwerk getäuscht: Ihr sei zugesagt worden, dass nur 6- bis 12-Jährige an der Fahrt teilnähmen. Tatsächlich waren auch ein 13- und ein 15-Jähriger mitgereist.

Die Entscheidung, das Verfahren gegen die Geschäftsführer des Pfefferwerks einzustellen, begründet die Staatsanwaltschaft so: Dass der 1-Euro Jobber nicht pädagogisch geschult war, habe den sexuellen Missbrauch weder ermöglicht noch begünstigt. Auch bei optimaler Betreuung sei keine Rund-um-die-Uhr-Überwachung der Kinder zu gewährleisten. Den Geschäftsführern könne nicht unterstellt werden, dass sie mit einem sexuellen Missbrauch hätten rechnen müssen.

„Es kann doch nicht sein, dass sich Eltern über die Betreuungsverhältnisse und die Teilnehmerzusammensetzung bei einer Kinderfahrt anlügen lassen müssen“, empört sich Gabriele X. Das Mindeste, was sie erwartet, ist, dass das Pfefferberg von der Jugendverwaltung – der Aufsichtsbehörde – zur Rechenschaft gezogen wird. Der Sprecher der Bildungsverwaltung, Kenneth Frisse, sagte, die Angelegenheit sei mit dem Pfefferwerk seinerzeit in allen Einzelheiten besprochen worden. „Ich glaube, dass dies auch Konsequenzen für das eingesetzte Personal hatte.“ Vom Pfefferwerk war gestern keine Stellungnahme zu erhalten. Nach Bekanntwerden des Vorfalls war der Reisebereich Wilder Pfeffer geschlossen worden.