„Dann kommt die Fackel“

Speerwerferin und Europarekordlerin Christina Obergföll über ihre neue Favoritenrolle

Die 24-jährige Christina Obergföll aus Lahr im Schwarzwald hält den Europarekord im Speerwerfen. Bei der Leichtathletik-Weltmeisterschaft in Helsinki 2005 überraschte sie mit der Weite von 70,03 Metern und gewann damit die Silbermedaille. Am Wochenende startet sie bei den Deutschen Meisterschaften in Ulm.

taz: Frau Obergföll, in den vergangenen Jahren hat die Leverkusenerin Steffi Nerius bei Deutschen Meisterschaften den Titel im Speerwerfen immer problemlos gewonnen. Werden Sie ihr den Wunsch nach mehr Gegenwehr erfüllen?

Christina Obergföll: Ich hoffe: ja. Ich werde mich zumindest schwer bemühen, dass sie Konkurrenz hat und um den Titel kämpfen muss, weil ich nämlich auch drum kämpfen werde.

Sie haben die Olympia-Zweite Nerius vor einem Jahr in Helsinki mit einem Europarekord-Wurf überflügelt. Was ist das für ein Gefühl?

Das mit Helsinki war einfach gigantisch. Ich habe schon immer gewusst, dass ich weit werfen kann. Und wenn es mal richtig schnalzt, hat der Trainer gesagt, dann fliegt der Speer und kommt nie mehr zurück. Aber dass es so weit geht, hätte ich mir nie träumen lassen. Und jetzt bin ich plötzlich die Europarekordlerin und damit die Gejagte. Ich habe immer gesagt, ich möchte vielleicht mal Steffi Nerius schlagen und international eine Medaille holen. Aber ich hätte nicht gedacht, dass sich die Situation so schnell ändert. Jetzt muss ich erst mal lernen, damit umzugehen. Und Steffi ist heiß auf Duelle gegen mich, bei denen sie zeigen kann, dass sie eigentlich die Bessere ist.

Anfang des Monats haben Sie den Speer schon wieder auf 66,91 Meter geworfen.

Den Druck habe ich gespürt, man geht in einen Wettkampf rein und denkt: Ich muss jetzt was zeigen, sonst verkaufe ich mich unter Wert, sonst sagen wieder alle, dass es ohnehin nur ein Wurf gewesen ist. Deshalb bin ich sehr erleichtert, dass mir noch einmal so ein Wurf ausgerutscht ist und ich zeigen konnte, dass ich es wirklich kann. Ein bisschen Glück gehört dazu, aber eben auch nicht nur.

Als Sie 2002 zum ersten Mal über 60 Meter geworfen haben, folgte eine lange Durststrecke. Waren Sie in Sorge, dass Ihnen das nach dem 70-Meter-Wurf ähnlich gehen könnte?

So habe ich das nicht betrachtet, 60 Meter ist doch noch mal etwas anderes als 70 Meter. Man kann nicht verlangen, dass ich jetzt ständig 70 Meter werfe. Das wird nicht passieren, das passiert auch bei einer Weltrekordhalterin Menéndez nicht. Aber ich würde mein Niveau gern stabilisieren, so auf 63 bis 64 Meter und mal ein bisschen mehr. Da ist Steffi Nerius dann doch ein kleines Vorbild, weil sie einfach sehr beständig ist. Andererseits hat sie diesen Knaller nicht, den ich ab und zu bringen kann. Da sind wir wohl gegenseitig ein bisschen neidisch.

Von Ihren beiden Spitzenwürfen sagen Sie, dass Sie eigentlich gar nicht wissen, wie Sie das gemacht haben. Beunruhigt Sie das oder ist das egal, Hauptsache, der Speer fliegt weit?

Das ist immer so ein bisschen salopp gesagt. Ich weiß natürlich, dass in dem Moment die Parameter gestimmt haben. Das ist vor allem meine Schnelligkeit. Und wenn ich dann schnell zum Stehen komme und mit dem Arm hinten ein bisschen warte, dann kommt die Fackel, sage ich immer. Ich frage mich aber dann, warum ich das nicht häufiger abliefern kann. Deshalb antworte ich gerne: Ich weiß wieder nicht, wie ich es gemacht habe. Aber ich weiß, dass ich weit werfen kann, nur passiert es noch nicht so oft.

Auf welchem Stand sehen Sie die deutsche Leichtathletik insgesamt? Wird sich bei der EM in Göteborg der zuletzt leichte Aufwärtstrend fortsetzen?

Dass wir es international nicht einfach haben, braucht man nicht zu vertuschen oder schönzureden. Trotzdem glaube ich schon, dass wir einige Leistungsträger haben. Gerade im Wurfbereich. Im Sprint ist es international einfach schwerer, aber dieses Jahr ist eine Europameisterschaft, da sind einige nicht dabei. Da sieht die Welt vielleicht schon wieder ganz anders aus. Ich glaube nicht, dass wir ganz untergehen werden.

Beschäftigt Sie die Doping-Affäre im Radsport? Oder sagen Sie, das ist ein anderer Sport, das hat mit uns nichts zu tun?

Hat es auch nicht. Die Tour im Radsport ist einfach nicht menschlich, deshalb überrascht mich das überhaupt nicht, was da jetzt alles aufgedeckt wird. Aber das hat nichts mit der Leichtathletik zu tun, und wenn, dann hat es noch mal nichts mit dem Wurfbereich zu tun. Eher schon mit dem Laufbereich, da weiß ich nicht, was sich abspielt.

Denken Sie nicht, dass es ein Doping-Netzwerk, wie es im Radsport jetzt aufgedeckt wurde, auch in Ihrer Sportart geben könnte?

Ja, die Frage kommt aber nicht erst jetzt auf, die besteht schon länger. Trotzdem: Man muss etwas nachweisen können, diese Vorurteile finde ich schwierig.

Sie sind nah dran am Weltrekord. Ist das ein Thema für Sie?

Irgendwann schon, ja.

INTERVIEW: SUSANNE ROHLFING