„Das Schlimmste werden wir noch sehen“

Die US-Regierung interessiert sich kaum für den israelisch-arabischen Konflikt. Aber selbst wenn Bush vermitteln wollte – er hätte keine Chance, meint Aaron David Miller. Denn beide Seiten wollen diesen Machtkampf jetzt austragen

taz: Die US-Regierung hat sich in den letzten Wochen stets hinter Israel gestellt. Kein Wort der Kritik kam aus dem Weißen Haus. Gilt denn die Reaktion der Israelis auf die Soldatenentführungen in den USA als angemessen?

Aaron David Miller: Angemessen für wen? Sehen Sie, die Israelis haben zwei Ziele. Zum einen wollen sie so viel Druck wie nötig erzeugen, um ihre entführten Soldaten freizubekommen. Ich bin sicher, dass sie selbst nicht daran glauben, dass sie das mit den Militäraktionen in Gaza und im Libanon erreichen können. Also verfolgen sie das zweite Ziel, nämlich das abschreckende Image ihres Militärs wieder aufzufrischen.

Hat das etwa jemand für eine Blauhelmtruppe gehalten?

In Israel glauben viele, dass Hamas und Hisbollah den von Ariel Scharon durchgesetzten einseitigen Rückzug Israels aus dem Gaza-Streifen und das daraus entstandene Bild der Schwäche ausnutzen, um ihre eigenen Operationen weiterzuführen.

Premier Ehud Olmert sieht sich zudem dem Vorwurf ausgesetzt, keine militärische Erfahrung zu haben. Hätte sein legendärer Vorgänger Ariel Scharon anders gehandelt?

Nein, er hätte genauso reagiert. Und ja, die Gegner Israels sehen das als einen Härtetest der neuen Regierung in Jerusalem. Das haben sie selbst so gesagt. Israel hat aber insgesamt sehr wenige erfolgversprechende militärische Optionen, wenn es um die Befreiung der Soldaten geht. Meiner Meinung nach wird das erst später, durch Verhandlungen, möglich sein. Dabei wird es zunächst um Gefangenenaustausch gehen müssen.

Die einzige Macht, die im Nahen Osten wirklich etwas bewegen könnte, die USA, glänzt bislang durch Tatenlosigkeit. Warum?

Die USA können nicht viel tun, außer die Israelis zur Mäßigung aufzurufen oder versuchen, Druck aus der arabischen Welt auf Damaskus und Teheran zu mobilisieren. Also auf diejenigen, die hinter Hamas und Hisbollah stehen. Aber in diesem konkreten Fall können die USA nichts erreichen.

1993 und 1996 haben die USA aber gezeigt, dass sie, wenn sie wollen, im Nahen Osten einiges erreichen können. Damals haben sie über Syrien den Waffenstillstand zwischen Israel und der Hisbollah eingefädelt, der dann zum Abzug aus dem Libanon führte.

Damals war die Situation aber eine ganz andere. Es gab einen breit angelegten Friedensprozess. Die Amerikaner waren damals in Syrien noch einflussreich. Syrien selbst konnte die Hisbollah noch beeinflussen und die Amerikaner haben sich engagiert.

Und das ginge heute, mit anderen Gesprächspartnern, nicht mehr?

Jetzt haben wir eine US-Regierung, die sich für den israelisch-arabischen Konflikt nur mäßig interessiert. Wir haben eine Führung in Damaskus, die nur noch wenig Einfluss bei der Hisbollah hat. Das Assad-Regime ist unter gar keinen Umständen bereit, den USA zu helfen, weil es ernsthaft befürchtet, dass die USA es stürzen wollen. Außerdem gibt es keinen breiten Friedensprozess mehr, den die Amerikaner unterstützen könnten. Und wenn man sich dazu noch den provokativen Kurs Irans anschaut, dann hat man die besten Zutaten für einen richtigen Konflikt, der auch eskalieren könnte.

Was sollte Ihrer Meinung nach die Rolle der USA sein: die der Zuschauerin?

Hier ist das Problem: Hamas und Hisbollah haben schon festgelegt, dass dies ein Test der Stärke ist. Israel hat für sich ebenfalls festgelegt, dass dies ein Machtkampf ist. Keine dritte Partei kann in dieser Phase hinter den Kulissen irgendeine aussichtsreiche Verhandlung führen – weder die USA noch deren arabische Verbündete oder Deutschland. Denn keine der kämpfenden Parteien wird jetzt nachgeben. Auch nicht Iran oder Syrien.

Was wird also in den nächsten Wochen passieren?

Mehr vom Gleichen. Bis hin zu mehr Angriffen der Israelis auf libanesische Infrastruktur und die Bevölkerung. Hisbollah wird mit weiter reichenden Raketen antworten. Israel könnte auch erwägen, Syrien anzugreifen. Ich glaube leider, das Schlimmste haben wir noch nicht gesehen. Gleichzeitig bin ich aber auch davon überzeugt, dass der Konflikt mittelfristig mit einem Deal enden wird, der erst mal alle Seiten ruhiger werden lässt.

Welches Konzept haben denn die Strategen im Weißen Haus hinsichtlich dessen, was nach dieser Phase passieren sollte?

Ich glaube nicht, dass da irgendjemand eine Strategie hat, wie eine Balance zwischen Israel und Syrien oder Israel und Iran erreicht werden könnte, um solche kostspieligen Machtkämpfe mittelfristig zu vermeiden. Ich glaube nicht, dass da irgendjemand konzeptionell oder strategisch denkt. Die Regierung Bush ist so frustriert über die Iraner, dass ich fast vermute, dass sie es für keine schlechte Sache halten, dass die Israelis mal ordentlich austeilen. INTERVIEW:
ADRIENNE WOLTERSDORF