„Erträumte Supermacht“

Russland wird keine Energie-Weltmacht werden, sagt der ehemalige Vizeenergieminister Russlands, Wladimir Milow

INTERVIEW KLAUS-HELGE DONATH

taz: Herr Milow, Energie ist ein zentrales Thema des heute beginnenden G-8- Gipfels der führenden Industriestaaten der Welt in St. Petersburg. Nach dem Gaskrieg gegen die Ukraine Anfang des Jahres sind im Westen immer mehr Zweifel an der russischen Verlässlichkeit aufgekommen. Wird der Kreml die Bedenken auf dem Gipfel ausräumen können ?

Wladimir Milow: Energiesicherheit ist ein ziemlich ernstes Thema für einen so unseriösen G-8-Vorsitz wie den russischen. Die Lage auf dem Energiemarkt ist empfindlich. Daher wird kein G-7-Politiker offen Position beziehen, was dem Treffen etwas Virtuelles verleiht. Beim Streit um die Gaslieferungen an die Ukraine Anfang des Jahres hat Moskau weder nach einem Kompromiss gesucht noch sich an geltendes Recht gehalten. Leider unternimmt es auch jetzt nichts, um verlorenes Vertrauen zurückzugewinnen. Auch der Frage nach Sicherheitsgarantien für seine Lieferverpflichtungen weicht es aus. Alles stünde zum Besten, wird versichert. Doch das ist Rhetorik. Die Monopolisierung des Energiesektors durch den Staat schreitet fort, ohne dass dieser mehr Verantwortung übernähme. Ich halte das für riskant. Früher oder später müssen die Europäer dafür bezahlen. Wer mit den politisch Verantwortlichen bei uns zu tun hat, sollte im Interesse eigener Sicherheit größte Vorsicht und Wachsamkeit walten lassen.

Moskau ist zurück auf der Weltbühne: In der G 8 ist es erstmals Gleicher unter Gleichen. Steht es an der Schwelle zur Energie-Supermacht ?

Ich wäre vorsichtig mit geopolitischen Spielchen. Neoimperialismus zahlt sich nicht aus. Noch reichen die russischen Kapazitäten gar nicht. Spätestens ab 2008 wird die Gasproduktion rückläufig sein. Tatsächlich steht nicht das Interesse des Käufers im Vordergrund, sondern der kurzfristige Profit des Monopols. Gazprom hat seit 2003 in energieferne Bereiche mehr investiert als in die eigene Branche. Im Mai/Juni waren die Elektrizitätswerke erstmals gezwungen, die Leistung wegen Energiemangels runterzufahren. Das Potenzial ist das eine. Die Erschließung etwas ganz anderes. Da helfen Supermachtträume nicht weiter. Die Gewinnung ist in Russland schwierig und vergleichsweise teuer. Das heimische Kapital ist auch nicht sonderlich risikofreudig. Staatliche Giganten wie Gazprom sind hoch verschuldet. Ausländische Unternehmen möchte man aus politischen Gründen von strategischen Sektoren fern halten.

Der Kreml erliegt also einer Selbsttäuschung?

Zu glauben, Russland könnte ein erfolgreicher Petrostaat werden, der sich ausschließlich durch Energie finanziert, ist illusorisch. Niemals wird Russland Saudi-Arabien, Kuwait oder Norwegen einholen. Nicht die Quantität der Reserven und Exporteinnahmen ist entscheidend, sondern die Bevölkerungzahl. In Norwegen beträgt der Export 40 bis 50 Tonnen pro Kopf, bei uns drei Tonnen. Unter großen Anstrengungen könnten wir sieben Tonnen erreichen. Die Hälfte der Energie verbrauchen wir überdies im Inland. Breiter Wohlstand lässt sich dadurch nicht garantieren. Doch die Politik befindet sich im Energierausch und beschäftigt sich mit der Umverteilung des Vermögens. Reformen sind gänzlich zum Erliegen gekommen.