Verhängnisvoller Aktionismus

Felix Sturm verliert den WBA-Titelkampf in der Hamburger Color-Line-Arena gegen den Spanier Javier Castillejo durch technisches K.o. Der Leverkusener stürzt damit bereits zum zweiten Mal vom Thron

Sturm wollte wieder geliebt werden. Und vergaß, dass ihm die Schlagkraft fehlt

von Christian Görtzen

Den Blick nach oben, zur Videowand, vermied Felix Sturm nach allen Kräften, die ihm noch zur Verfügung standen. Es hätte ihm nur noch weitere Schmerzen zugefügt – im Nacken, der die ganze Wucht der Schläge seines spanischen Bezwingers Javier Castillejo zu ertragen hatte; in der rechten Gesichtshälfte, die stark angeschwollen war. Vor allem aber in seiner Boxerseele.

Der 27-jährige neue Ex-Weltmeister dürfte ohnehin geahnt haben, welche Szenen vom WBA-Titelkampf im Mittelgewicht auf der Videowand in dem Moment zu sehen waren, in dem sich seine medizinischen Betreuer um seine blutende Nase kümmerten. Die Reaktionen der fast 5.000 Zuschauer in der bei weitem nicht ausverkauften Color Line Arena in Hamburg ließen kaum einen anderen Schluss zu.

Vier entsetzte, mitleidige „Oh“-Rufe und ein seufzendes „Oje“ stießen die Zuschauer aus, als sie auf dem Großbildschirm noch einmal Castillejos entscheidende Trefferfolge in der zehnten Runde gegen Sturm in der Wiederholung zu sehen bekamen. Es war das akustische Resümee eines dramatischen Kampfes zwischen Sturm und seinem elf Jahre älteren Herausforderer, der fast zwangsläufig in einem Finale furioso münden musste. Für Sturm war es die zweite Niederlage in seinem 27. Profikampf, die erste durch Knockout. Der entthronte Weltmeister kauerte nach dem erlittenen technischen K.o. in seiner Ringecke und blickte apathisch.

Nichts war mehr übrig geblieben von jener Zuversicht, die Sturm eine Dreiviertelstunde zuvor noch verströmt hatte. Zu den Klängen des Liedes “Firestarter“ sprühten Feuerfontänen, und hinter einer Membranwand war der Schattenriss eines Boxers zu erkennen, der sich mit vier, fünf Trockenübungen auf den großen Abend vorbereitete. Heraus trat Felix Sturm. Er hatte wieder das „All-4-Mom“ Stirnband um seinen Kopf gebunden.

Bereits in der zweiten Runde hatte seine Mutter allen Grund dazu, sich Sorgen zu machen. „El Lince de Parla“, der Luchs aus Parla, hatte seine rechte Pranke ausgestreckt und Sturm mit einem Aufwärtshaken in den Ringstaub geschickt. Sturm taumelte beim Versuch, sich schnell wieder aufzurichten, um dem Gegner auf diese Art zu suggerieren, dass alles halb so schlimm gewesen sei. „Felix hätte sich cleverer verhalten müssen. Er hätte Zeit schinden sollen, aber er wollte sofort zeigen, dass er wieder da ist“, monierte Promoter Klaus-Peter Kohl.

Sturm gelang es erstaunlich schnell, sich wieder zu fangen. Bis zur zehnten Runde führte er nach Punkten. Doch der Leverkusener wollte mehr. Er wollte wieder von seinem Publikum geliebt werden. Zu laut klangen ihm noch die Pfiffe vom vorangegangenen Kampf gegen den Neuseeländer Maselino Masoe in den Ohren. In der zwölften Runde jenes Kampfes war er vor der Konfrontation mit seinem Gegner geflüchtet. Den Titel verteidigte er dadurch, doch diese Passivität kostete ihm viele Sympathien.

Dieses Mal musste ein Kunstwerk her – unbedingt. Über diesem Aktionismus vernachlässigte der Leverkusener die Erkenntnis, dass er zwar ein geschmeidiger, technisch starker Boxer ist, aber nun einmal kein Knockouter. Sturm ist ein Stylist ohne Schlagkraft. Sein Plan war es, Castillejo in den Infight zu locken und ihn mit einer Konterattacke zu Boden zu schlagen. Nur: „Der Luchs aus Parla“ tat ihm nicht den Gefallen, die Deckung zu stark zu öffnen. Castillejo harrte aus und bekam in der zehnten Runde seine Chance. Vier Schläge zum Kopf von Felix Sturm, dazu noch ein Leberhaken – und der routinierte Iberer mit der exzellenten Nehmerqualität war neuer Weltmeister.

„Letztes Mal habe ich mich zum Schluss viel aus der Rückwärtsbewegung bewegt. Ich wollte zeigen, dass ich boxen kann. Es gibt eben auch mal einen Stärkeren und Besseren, das gehört zum Sport dazu“, sagte Sturm noch im Ring. Danach wurde er in ein Krankenhaus gefahren. Aber der Verdacht auf einen Kieferbruch bestätigte sich nicht.