berliner szenen Love Parade revisited

Von der Last befreit

Komisch, noch einmal zur Love Parade zu gehen. Automatisch kommt das Früher vorbei. Die ersten Male hatte man sich überwinden müssen, die Beobachterposition aufzugeben, als Fremder mit Unbekannten zu tanzen. Man hatte das Geschehen oft durch die Brille einer Vergangenheit gelesen, die man selber nur von Filmen und Büchern her kannte. Die Love Parade war Woodstock, Deleuze, Bataille, und ich wurde dafür belohnt, dass ich mich traute, da hineinzugehen, meist in den immer gleichen schwarzen Adidas-„Samba“-Schuhen und einmal auch im Jackett.

Auf dem Weg ins Getümmel am Samstag dachte ich erst, oje, wie Mallorca. Später wurde es schöner, auch wenn das Schöne gleichzeitig anstrengend war, weil es alle Sinne so sehr beschäftigte. Während man beim Fußballgucken gestanden hatte, ging man hier meist. Während man beim Fußballgucken, fixiert auf die Leinwand, vielleicht hundert verschiedene Leute gesehen hatte, sah man hier ein paar tausend in 90 Minuten. Weil es nicht so überfüllt war, mischten sich die Massen immer wieder neu. So vielfältig, antistylish, polnisch und befreit von der Last, etwas bedeuten zu müssen, war die Parade nie gewesen.

Als ich mich am Rande hinsetzte, um mir Notizen zu machen, setzten sich zwei junge Männer – sicher auf „E“ – neben mich. Einer links, der andere rechts. Beide guckten in mein Notizbuch, während ich „the return of gut & billig“ schrieb. Sie fragten: „Wird das ein Buch? Erwähnst du uns auch?“, standen auf, gingen fort, kamen zurück, guckten wieder in mein Notizbuch und freuten sich, während ich ihre Frage notierte. Mein Lieblings-T-Shirt war übrigens schwarz und hieß: „Zivi 2006 Technotobi“. DETLEF KUHLBRODT