Fast eklig virtuos

Ex-Television-Mastermind und Punk-Vordenker Tom Verlaine gastierte im Quasimodo

Man stelle sich vor: Ein Laden im alten Westen, direkt am Zoo gelegen, im Keller eines schnieken Restaurants. Gumminoppenboden. An den Wänden Live-Fotografien von Jazz- und Bluesmusikanten. Das Publikum sitzt vor hohen runden Holztischen. Männer mit Flanellhemden, Cowboyhüten und The-Who-Tour-Shirts stehen herum. Alternde Freaks, Elternteile mit Vergangenheit. Hier und da lassen sich ehrfürchtige StudentInnen sehen, der Altersdurchschnitt liegt so bei 40. Auf der Bühne ein Typ mit Gitarre, der versucht, einen New Yorker Akzent nachzuahmen, daneben steht ein Kontrabassist mit Baseballkappe, und rechts sitzt einer mit dem verachtungswürdigsten Instrument seit dem Saxofon, der Pedal Steel Guitar. Die Musik, die dabei herauskommt, kann nicht gut sein, hält sich dann aber im halbwegs Angenehmen.

Es handelte sich auch nur um die Vorgruppe, Les Hommes Sauvages. Die Bandmitglieder allerdings haben alle eindeutig zu viele Lou-Reed-Platten gehört. Der Hauptact am Vorabend der Love Parade, hier im Quasimodo: Tom Verlaine, CBGBs-Legende, Gründer der Punkvorläufer-Gruppe Television, seit über dreißig Jahren im Geschäft. Auch er hat nur eine Gitarre dabei und einen Zweitgitarristen, der sich Jimmy Rip nennt, das fehlende Haupthaar mit einer interessanten Bartkonstruktion ausgleicht und im Folgenden da die gute Rhythmusgitarre spielt, wo sich Verlaine in Spielereien und Gefrickel verliert. Zwei Männer, zwei Gitarren, zwei Stühle. Anfangs scheint sich das Grauen nahtlos fortzusetzen: Begonnen wird mit einer endlosen 70er- Psychedelik-Exegese, wie sie Pink Floyd nicht besser hinbekommen hätten. Vielleicht sollte es eine Hommage an den kürzlich verstorbenen Syd Barrett sein, man wusste es nicht. Ein Abend der allgemeinen Getragenheit mit fast eklig zu nennender Virtuosität also, jedenfalls was die Gitarren anbelangte. Und das sollte was mit Punk zu tun haben?

Die ersten Irritationen waren zum Glück irgendwie ein Missverständnis. Denn Verlaine, der die Leute mit ein paar Brocken Bühnendeutsch („Das Licht ist nicht gut“) unterhielt und ein bisschen wie eine Mischung aus duftem Küster und Steve Buscemi aussah, mit manchmal fast unbeholfener Körperhaltung, und sein bodenständiger Kollege Rip vermochten sich zu steigern. Nach einigen sperrigen, komplizierten Rhythmusfiguren, die man durchaus dem Postpunk zurechnen konnte, ging es in eine sehr eigene Definition von modernem Western/Blues. Durchaus dreckig und druckvoll, aber immer auch ausufernd. Das Publikum schien es zu goutieren. Außer einem jungen Mann mit Antifrisur und einem anderen, der eine Sex-Pistols-Tasche dabei hatte, sah hier eh niemand nach Punk aus. Die Schnittstelle wurde von Verlaines wortkargem Sprechgesang markiert, ein tiefes, monotones Brummen, mit dem er sich manchmal zu dem Versuch verstieg, so etwas wie eine Melodie zu finden.

Womit sich der Kreis fast wieder schloss: Irgendwie klang auch das wieder sehr nach Lou Reed. Vielleicht liegt es an der gemeinsamen New Yorker Herkunft, vielleicht am Sprechgesang, am spartanischen Einsatz der Mittel. Am Ende hat es wohl damit zu tun, dass Reed eine Ära noch nachhaltiger geprägt hat, als man ohnehin angenommen hat. Bis in den Prä-Punk hinein. Allerdings kann Verlaine besser Gitarre spielen. Aus diesem Umstand vermochte er auch viel zu machen, bis ins Gniedelige hinein. Das aufgeschlossene Publikum dankte es ihm mit großem Applaus, für den er sich seinerseits mit zwei Zugaben bedankte. Demnächst im Quasimodo übrigens: Ronnie Spector, The Soft Machine, Taj Mahal und Maceo Parker. Im Oktober kommen dann Pere Ubu. Lou Reed ist angefragt. RENÉ HAMANN