Leserbrief
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Schadet der Kritik an Hartz IV

■ betr.: „Gutschein für Menschenwürde“, taz bremen vom 14. 7. 2010

In Ihrem Artikel vom 14. 7. 10 „Gutschein für Menschenwürde?“ verwendet die taz das Foto eines Blocks deutscher Essensmarken von 1942. Die Verwendung eines solchen Bildes in einem Artikel zur Sanktions-Praxis der BAgIS ist nicht nur falsch, sie legt auch die Relativierung des NS und seines mörderischen Vernichtungsprogramms nahe. Zweck und Wirkung von Hartz IV ist es, die Erwerbslosen in einem für den Standort verwertbaren Zustand zu halten – „verwertbar“ sowohl materiell auch ideologisch, d. h. bei gleichzeitiger, im Zweifel auch zwangsweiser, immer erneuter Einübung der Prinzipien von Lohnarbeit. Da der Staat aber auch noch, tendenziell immer, klamm bei Tasche ist, versucht er dies so kostenneutral wie möglich anzustellen. Heraus kommt ein repressiver Fast-Willkür-Apparat, der versucht zu kürzen, strafen und zu hetzen, wo es nur geht. Das ist zum Kotzen und darum gehört Hartz IV auch abgeschafft. Und eigentlich am liebsten Arbeit, Kapital, Staat und Nation und was da sonst noch so dran hängt gleich mit. (…)

Wo der bundesrepublikanische deutsche Staat um so was wie Vernunft innerhalb der Marktwirtschaft ringt, lässt der NS-Staat jede fahren; der Zweck der Marktwirtschaft wird zum Selbstzweck irrational und auf Vernichtung gerichtet gesteigert. Wenn also optisch Hartz IV mit dem „Sozial“-Staat des NS verglichen wird, wird entweder der BAgIS unterstellt, die Vernichtung ihrer „Kunden“ zu beabsichtigen und zu betreiben, oder umgekehrt der NS krass relativiert. Beides ist nicht nur falsch, es schadet auch jeder emanzipatorischen Kritik, ob an Hartz IV oder dem NS.

Tobias Helfst, Sozialberater für den Bremer Erwerbslosen Verband (BEV) in der Neustadt