Die Welt sitzt stumm daneben

Junge Menschen aus dem Nahen Osten sind des Konflikts überdrüssig. Sie fordern Israel auf, Verantwortung für seine Taten zu übernehmen. Der Rest der Welt soll nicht nur zusehen, sondern endlich handeln, sagen sie

Der Nahost-Konflikt hat sich in den vergangenen Wochen dramatisch verschärft. Israel bombardiert den Libanon, die libanesische Terrororganisation Hisbollah beschießt Nordisrael mit Raketen. Viele Beobachter sprechen schon von einem neuen Nahostkrieg. In Europa reibt man sich verwundert die Augen und fragt: Was ist an der Situation neu? Junge Menschen zwischen 21 und 25 Jahren aus Israel, Syrien und Palästina beantworten der taz per E-Mail diese Frage und kommentieren die Situation aus ihrer Sicht.

Yasar Fattoom studiert Politikwissenschaft und Wirtschaft an der Universität Damaskus in Syrien:

Ich habe im Fernsehen davon gehört, was in Beirut passiert ist. Eigentlich wollte ich vor kurzem nach Beirut fahren, um Freunde zu besuchen. Aber daraus wurde nichts, weil an diesem Tag der Flughafen in Beirut von den Israelis bombardiert wurde.

Was die Hisbollah tut, hätte schon vor langer Zeit geschehen müssen. In israelischen Gefängnissen sitzen bis zu 10.000 arabische Häftlinge. Weder die UNO noch die EU noch eine Menschenrechtsorganisationen können etwas für sie tun. Sie wollen auch nichts für sie tun! Warum ist jetzt die ganze Welt in Aufruhr, weil zwei israelische Soldaten entführt wurden? Warum sind arabische Menschen für den Westen genauso wenig wert wie für unsere eigenen Regime?

Ich war im September bei einer Friedenskonferenz in Schweden. Dort traf ich junge Menschen aus anderen Ländern des Nahen Ostens. Ich habe auch mit Leuten aus Israel zusammengearbeitet, aber jetzt kann ich das nicht mehr. In Israel ruft niemand nach Frieden. Sie glauben, Krieg sei der einzige Weg, ihre Probleme zu lösen. Ich kann nicht hier in Damaskus herumsitzen und von den Libanesen fordern zu kämpfen. Ich hoffe, dass sie durchhalten und dass Syrien sich in den Konflikt einschaltet. Dann stünden die Menschen im Gaza-Streifen und Libanon nicht mehr allein. Ich glaube, dass die Kämpfe erst enden werden, wenn der innere Druck in Israel wächst. Sie halten das nicht lange durch. Ich glaube, die anderen Länder der Region werden sich aus dem Konflikt heraushalten. Das ist eine große Schande!

Ofir Feuerstein studiert in Westjerusalem in Israel. Er nimmt an einem Dialogtreffen des Programms „Ferien vom Krieg“ teil. Gemeinsam suchen Israelis und Palästinenser dabei nach Wegen zum Frieden:

Die Regierung Israels sollte für die jetzige Eskalation des Nahostkonflikts verantwortlich gemacht werden. Naiverweise könnte man denken, dass diese Politik sein muss, um die Sicherheit der Menschen in Israel zu gewährleisten. Aber die Geschichte zeigt, dass Militärgewalt, wie Israel sie derzeit ausübt, nur zu noch mehr Gewalt führt.

Israel ist in diesem Konflikt die stärkste Partei, weil es von Europa und den USA unterstützt wird. Deshalb will Israel jegliche Chance auf eine Einigung mit dem Libanon, Syrien und den Palästinensern zunichte machen. Leider ist Deutschland ein wichtiger Partner Israels und unterstützt damit auch die israelischen Gewalttaten, in UN-Abstimmungen und durch wirtschaftliche Hilfe. Hinsichtlich ihrer Geschichte kann ich die Angst der Deutschen verstehen, als Antisemiten bezeichnet zu werden. Dennoch sollte Deutschland in der jetzigen Situation seine bedingungslose Unterstützung Israels noch einmal hinterfragen.

Fadi Shbetta, palästinensischer Aktivist, lebt in Israel und nimmt ebenfalls am Treffen der Israelis und Palästinenser teil:

Ich bin gerade in Deutschland, wo ich gemeinsam mit Israelis nach Wegen der Zusammenarbeit suche. Hier habe ich von den israelischen Angriffen auf den Gaza-Streifen und den Libanon gehört. Israel hat damit auf die Angriffe der Hisbollah auf Orte in Nordisrael und die Entführung von drei Soldaten reagiert – was den Tod von hunderten Zivilisten im Gaza-Streifen und die Zerstörung von Infrastruktur im Libanon zur Folge hatte.

Nehmen wir einmal an, Libanon oder Syrien hätte den israelischen Ben-Gurion-Flughafen in Tel Aviv bombardiert oder die Palästinenser hätten die Hälfte der israelischen Regierung entführt: Was würde dann passieren? Israel hält zwischen 6.000 und 10.000 palästinensische Gefangene ohne Prozess fest. Israel richtet nicht nur Militärführer, sondern auch politische Führer hin.

Mit dem Bau der Grenzmauer enteignet Israel palästinensische Landbesitzer und verhindert jegliche Möglichkeit, den Konflikt friedlich zu lösen. Gleichzeitig schiebt Israel sein „Sicherheitsbedürfnis“ als Ausrede für diese Ungerechtigkeit vor. Meistens sagt der Rest der Welt gar nichts dazu. Hin und wieder hört man leise Kritik, die Forderung nach „Ausgewogenheit“ der israelischen Aktionen oder dass beide Seiten zum Friedensprozess zurückkehren sollten. Es gibt jede Menge solcher diplomatischen Floskeln, die die Realität aus Massakern und fortwährender Kolonialisierung verschleiern sollen.

Tal Dor engagiert sich in Israel für den sozialen Umbruch. Auch er diskutiert derzeit mit Israelis und Palästinensern, wie der Konflikt zu lösen sei:

Wenn man in Israel aufwächst, bekommt man beigebracht, dass es keine Alternative zum Krieg mit unseren palästinensischen und arabischen Nachbarn gibt. Man lernt auch, dass Israel nie einen Krieg beginnt, sondern immer nur auf die „andere Seite“ reagiert. Israel sollte endlich Verantwortung für das übernehmen, was es tut: Dafür, dass es einen Krieg provoziert hat, dafür, dass unschuldige Zivilisten auf beiden Seiten getötet wurden.

Ich finde, die Welt darf nicht still danebensitzen, wenn eine ganze Nation im Gaza-Streifen und im Westjordanland in Ghettos lebt und unter ständigen Angriffen leidet. Es darf nicht sein, dass erst brutale Massaker verübt und Luftangriffe geflogen werden müssen, damit die Besatzung kritisiert wird. Jeden Tag werden Menschen getötet. Die größte Macht hat ein Besatzer, wenn die Menschen in den besetzten Gebieten sich an die Situation gewöhnt haben und nur noch um kleine Freiheiten kämpfen.

Es ist an der Zeit, das Ende der Besatzung zu fordern und Gerechtigkeit nach Israel und Palästina zu bringen.

Moshe Robes und Natasha Popov, israelische Kongressteilnehmer, wundern sich über die Naivität in Deutschland:

Dass in Deutschland jetzt alle schockiert über die Eskalation im Nahen Osten sind, zeigt Deutschlands Einstellung zu dem Konflikt. Wir alle wissen doch, wie die Menschen im Gaza-Streifen und im Westjordanland leiden. Wir wissen von der Mauer, dem Eingesperrtsein und dass für die Palästinenser Menschenrechte wie die Bewegungsfreiheit nicht gelten.

Es ist ganz ähnlich wie während der zweiten Intifada. Als diese begann, waren alle überrascht. Aber für diejenigen, die sich schon vorher für den Frieden dort engagiert und mit beiden Seiten Kontakt hatten, kam es alles andere als überraschend. Die israelische Regierung hat überhaupt kein Interesse an einem Frieden und behindert jede Lösung. Deutschland und die USA ignorieren alle palästinensischen Friedensinitiativen. Man sollte Israel zwingen, für seine Taten die Verantwortung zu übernehmen. Die Mauer tötet.

Yaar ist Politaktivist aus Israel und arbeitet in einer Rechtsanwaltskanzlei. Er filmt Aktionen und Demonstrationen gegen die israelische Regierung und das Militär:

Das letzte Mal hat Israel den Süden des Libanon im Jahr 1982 besetzt. 18 Jahre danach hat Israel den Rückzug aus dem Libanon abgeschlossen. Und vor kurzem hat es diesen Rückzug wieder rückgängig gemacht und auch einige Orte in Syrien bombardiert. Außerdem haben die israelischen Streitkräfte den Gaza-Streifen mehrmals angegriffen und dabei viele Zivilisten mit Boden- und Luftangriffen getötet – begründet hat Israel die Angriffe mit der Entführung eines Soldaten in Gaza und zwei in Libanon. Doch auf der anderen Seite sitzen bis zu 10.000 Palästinenser in israelischen Gefängnissen ein. Den meisten von ihnen wird eine Anhörung genauso verweigert wie die Möglichkeit, vor Gericht ihre Rechte zu verteidigen.

Ein durchschnittlicher Palästinenser lebt wegen der israelischen Besetzung mit der ständigen Gefahr, dass das israelische Militär in die Dörfer und Städte einmarschiert, Menschen wahllos festnimmt oder erschießt und Ausgangssperren verhängt. Es ist ein Alptraum!

Davon abgesehen haben die Palästinenser keinerlei Rechte, sich zu bewegen, sei es um in die Schule oder zur Arbeit zu gehen oder wegen eines medizinischen Notfalls ein Krankenhaus aufzusuchen. Wir, palästinensische und israelische Aktivisten, versuchen, die Realität mit gewaltfreien Demonstrationen und anderen Aktionen zu verändern. Wir wollen dem Rest der Welt zeigen, dass es noch einen Funken Verstand in diesem verrückten System der weltweiten Unterdrückung gibt.

Diese Woche werden Aktivisten während des G-8-Gipfels in Sankt Petersburg zeigen, dass wir gemeinsam den Lauf der Dinge verändern können. Sie werden den Blick auf die physische und wirtschaftliche Gewalt lenken, die hauptsächlich von westlichen Ländern ausgeübt wird, um andere Menschen für ihren Profit auszubeuten.

SAMMLUNG: KERSTIN SPECKNER