Gefährliche Welt der Individuen

betr.: „Lass dich nicht erwischen“, taz vom 14. 7. 06

Mit Verwunderung habe ich heute Katharina Rutschkys Plädoyer für einen bürgerlichen Anarchismus aufgenommen. Dies begann mit der begleitenden Abbildung eines Schilds im Tiergarten, das Grillende bat, ihren Müll mitzunehmen. Eine Bildunterschrift stellte dazu fest, dass solche Verbote „zum Glück“ nicht befolgt würden. Inwiefern dies wünschenswert ist, blieb mir verschlossen, ist aber das beste Beispiel für meine Kritik an den Ideen der Autorin.

Die Prämisse für politisches Denken, dass eine nationale Wertegemeinschaft „unterstellt“ und die Institution der Gesellschaft gar „fiktiv“ sei, gefolgt von der Erkenntnis, dass die Zukunft der schönen neuen „Gesellschaft der Individuen“ gehöre, halte ich für gefährlich in einer Welt, die sich durch ungebremsten ichbezogenen Konsum und allgegenwärtigen Wettbewerb weg von sozialer Gemeinschaft und hin zu unverantwortlichem und isoliertem Willen und Handeln des Einzelnen bewegt. Eben dieser Verfall der Gemeinsamkeit, Wurzel jedes sozialen Denkens, führt zu den Krankheitssymptomen unserer Demokratie, wie in diesem Artikel beschrieben als „Wahlmüdigkeit, Politikverdrossenheit und Resignation.

Die Institution der öffentlichen Ordnung, als bindendes Band einer so großen Gruppe von Menschen, wie es eine Nation ist, ist unentbehrlich, wenn jegliche sozialen Werte aufrechterhalten werden sollen. Was der „bürgerliche Anarchismus“ in seiner Reinform bedeutet, kann zum Beispiel in den USA beobachtet werden, wo eben mit dem zitierten Grundsatz „Leute, macht, was ihr verantworten könnt!“ die Umwelt, Sozialgerechtigkeit und das Miteinander mit Füßen getreten werden. LINUS WESTHEUSER, Oldenburg