Artige Terroristen

PREISWERT Popmusik sollte der Gesellschaft einen Schritt voraus sein. Die Verleihung der Grammys hat allerdings gezeigt, dass der Pop derzeit etwas hinkt

Eine Auswahl der Preisträger 2014:

■ Album of the Year: „Random Access Memories“ – Daft Punk

■ Best New Artist: Macklemore & Ryan Lewis

■ Song of the Year: „Royals“ – Lorde

■ Producer of the Year: Pharrell Williams

■ Lebenswerk: Kraftwerk

VON FATMA AYDEMIR

„Was ist der Unterschied zwischen Popstars und Terroristen? Mit einem Terroristen kann man verhandeln.“ Madonna hat das gesagt, gerne tituliert als „Queen of Pop“. Eine Frau, die keine Kontroverse gescheut hat, immer einen draufsetzt und gerade deshalb drei Dekaden im Musikbusiness überlebt hat. Madonna sollte wissen, wovon sie spricht, wenn sie die Kompromisslosigkeit der Popmusik anpreist. Im besten Fall nämlich ist Popmusik der Gesellschaft einen Schritt voraus. Was heute Pop ist, wird morgen, mit dem Heranwachsen des Publikums, zum allgemein gültigen Kanon.

Insofern könnte die Grammy Award Show am vergangenen Sonntag als ein vielversprechendes Zeichen für die Zukunft der USA gelesen werden. Und das weniger aufgrund der Juryentscheidungen bei der Verleihung des wichtigsten Preises im US-amerikanischen Musikgeschäft als vielmehr wegen der Shows, die die großen Gewinner des Abends hinlegten. Das Rapper-Duo Macklemore und Ryan Lewis, mit vier Preisen ausgezeichnet, ließ zu ihrer Homo-Hymne „Same Love“ eine Massenhochzeit für 33 Paare steigen – für schwule, lesbische und auch heterosexuelle Paare.

Madonna gab im weißen Smoking mit ihrem Song „Open Your Heart“ ein Hochzeitsständchen, Rapperin Queen Latifah traute die Pärchen kraft des vorübergehend vom Bundesstaat Kalifornien ihr übertragenen Amtes. Alles schön und gut. Doch gehört gerade Queen Latifah zu jenen Celebrities, denen schon seit Jahren eine lesbische Beziehung nachgesagt wird, die sich aber nie offen dazu äußern wollte. Wie kommt es, dass sie ausgerechnet jetzt zur Hohepriesterin der Homo-Ehe erkoren wird? Ganz einfach: aus purem Konformismus. Weil es jetzt im Moment eben passt.

Madonnas Zungenkuss mit Britney Spears 2003 war um einiges revolutionärer

Die Homo-Ehe gehört zu den kontroversesten Diskussionsstoffen der US-amerikanischen Politik. Nachdem Massachusetts im Jahr 2004 als erster US-Bundesstaat die gleichgeschlechtliche Ehe legalisierte, folgten in den vergangenen Jahren 18 weitere Staaten. Im Verhältnis zu insgesamt 50 Bundesstaaten ist das immer noch zu wenig, keine Frage. Doch ist die Bewegung in Gang. Vor zwei Wochen erst hat der eigentlich als superkonservativ geltende Staat Oklahoma das Verbot der Homo-Ehe gekippt. Und nun erst folgen die vereinten US-Popsternchen auf der größten Musikbühne des Landes, um sich für die Homo-Ehe zu positionieren. Kommt das nicht zehn Jahre zu spät? Es ist traurig, aber wahr, dass die Popindustrie den Anschluss zur Avantgarde längst verloren hat und nur noch mit schicken Settings und reichlich übermüdet dem Zeitgeist hinterherhinkt. Madonnas Zungenkuss mit Britney Spears bei den MTV-Awards 2003 war da um einiges revolutionärer.

Weitere Highlights waren die Eröffnung durch R&B-Sängerin Beyoncé mit Rapper-Gatten Jay-Z sowie der Auftritt des französischen House-Duos Daft Punk – mit fünf Preisen Abräumer des Abends – , das Sänger Pharrell Williams mit Soulsänger Stevie Wonder zusammenführte, um gemeinsam den als „Record of the Year“ ausgezeichneten Hit „Get Lucky“ zu singen. Gute Shows waren das von großartigen, mehrheitlich afroamerikanischen Künstlern. Gerade seit der Erschießung Trayvon Martins und dem Erfolg des Sklaverei-Films „12 Years a Slave“ wird das Thema Rassismus schließlich wieder oft diskutiert. Für einen Terroranschlag auf Überkommenes war das alles aber viel zu artig.