Die Großoffensive der Wattestäbchen

Im sächsischen Coswig begann der voraussichtlich größte Massen-Gentest, den Deutschland je erlebt hat. Bis zu 100.000 Männer sollen Speichelproben abgeben. Die Polizei hofft, per DNA-Test einen Vergewaltiger zu überführen

DRESDEN taz ■ Es könnte der größte Massen-Gentest der deutschen Kriminalgeschichte werden. Im Städtchen Coswig, 15 km elbabwärts von Dresden gelegen, waren am Wochenende 3.108 Männer zur Abgabe einer Speichelprobe aufgefordert. Und das ist erst der Anfang. Zehntausende Tests könnten folgen.

Ein DNA-Vergleich erscheint der Sonderkommission „Heller“ des Landeskriminalamtes als die einzige Möglichkeit, einen zweifachen Sexualstraftäter zu ermitteln. Der vermutlich zwischen 30 und 40 Jahre alte Mann hatte um den Jahreswechsel 2005/06 im Norden Dresdens und in Coswig ein neun- und ein elfjähriges Mädchen in sein Auto gezerrt, vergewaltigt und die verletzten Kinder am Straßenrand wieder ausgesetzt. Die beiden einzigen Anhaltspunkte sind bislang die Aussagen der Mädchen und eine übereinstimmende DNA des Täters. Experten verglichen diese DNA mit der von etwa 1.000 bekannten Sexualstraftätern – ohne Erfolg.

Der gesuchte Mann soll zwischen 1,65 und 1,85 Meter groß sein und über sehr gute Ortskenntnisse verfügen. Deshalb vermuten die Ermittler, dass er in der Dresdner Nordregion lebt. Am kommenden Wochenende sind nochmals 3.129 Dresdner Männer zu einer Speichelprobe aufgerufen. Bleibt dieser Auftakt erfolglos, sollen die Untersuchungen nach Angaben der Staatsanwaltschaft Dresden auf bis zu 100.000 Männer ausgedehnt werden. „Es besteht konkrete Wiederholungsgefahr“, begründete Oberstaatsanwalt Christian Avenarius das aufwändige Verfahren. Laut Landeskriminalamt kostet die Analyse einer Probe 15 bis 25 Euro.

„Wir sind beeindruckt vom Andrang und vom Verständnis der Bürger für diese Maßnahme“, sagte Tom Jährig vom Landeskriminalamt. Rund 500 Männer, die am Wochenende verhindert sind, hätten sich schon vorab gemeldet. Bis Sonntagmittag beteiligten sich etwa 1.000 Personen an dem Test. Das „Alte Sozialrathaus“ in Coswig öffnete am Sonnabend wegen der wartenden Menge schon um halb neun. 50 Beamte sind bei der Aktion im Einsatz. An der Auswertung sind Labors in der gesamten Bundesrepublik beteiligt.

Oberstaatsanwalt Avenarius betonte, dass die Tests freiwillig seien. Verweigerer müssten aber damit rechnen, dass sich die Ermittler die Person und das Umfeld „genauer ansehen“, sagte er der Nachrichtenagentur dpa. Erst bei einem daraus folgenden Anfangsverdacht werde ein formales Ermittlungsverfahren eingeleitet.

Mit Hilfe der ersten großen Gen-Reihenuntersuchung konnte 1992 ein Sexualmörder bei Hannover überführt werden. Fast alle folgenden Massentests ermittelten die Täter, wenn auch oft erst nach Jahren systematischer Vergleiche. Erfolglos blieb im Jahr 2.000 allerdings der erste Massen-Gentest an Frauen im bayerischen Essing, der den Mord an einem Baby aufklären sollte. Am bislang umfangreichsten DNA-Test nahmen 1998 in Niedersachsen 18.000 Männer teil. MICHAEL BARTSCH

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