Merkel weiß angeblich, wohin sie will

Die Kanzlerin hat eine PR-Offensive gestartet. Sie gibt ein großes Interview nach dem anderen. Darin verteidigt sie gelassen und selbstbewusst ihre Politik. Doch sie kann auch Machtworte sprechen. Das bekommt jetzt SPD-Chef Kurt Beck zu spüren

AUS BERLIN JENS KÖNIG

Angela Merkel muss sich seit einigen Monaten vor allem mit zwei Vorwürfen herumschlagen. Vorwurf Nummer eins: politische Führungsschwäche. Es werde nicht klar, sagen ihre Kritiker, was die Kanzlerin mit ihrer Regierung erreichen wolle, sie mache zu viele Kompromisse und lasse jeden Mut vermissen. Vorwurf Nummer zwei: Erklärungsschwäche. Sie erläutere ihre Politik nicht, wird moniert, alle möglichen Spitzenpolitiker würden sich zur Arbeit der großen Koalition äußern, nur die Kanzlerin halte sich öffentlich zurück.

Auch wenn Angela Merkel die Vorwürfe nicht teilen dürfte, so weiß sie doch, dass die Dauerkritik ihre ohnehin nicht einfache Stellung als Chefin eines schwarz-roten Bündnisses einerseits und als CDU-Vorsitzende andererseits unterminiert. Also reagiert sie – und startet eine PR-Offensive in eigener Sache. Merkel hat innerhalb von zehn Tagen gleich fünf große Interviews gegeben, für ihre Verhältnisse geradezu ein Zeichen von ungebremster Redseligkeit. Erst wurde Bild bedacht, dann die Frankfurter Allgemeine Sonntagszeitung, der Bonner General-Anzeiger, RTL, an diesem Montag schließlich der Spiegel.

Alle Interviews folgen dem gleichen Muster: Die Kanzlerin erklärt ihre Politik – sie beinhalte genau das, was die große Koalition zu Beginn ihrer Arbeit versprochen habe. Die Kanzlerin verteidigt ihre Politik – sie könne nun einmal nicht mehr leisten, als die dramatische Haushaltslage in Bund, Ländern und Kommunen zulasse. Und die Kanzlerin übt sich in großer Gelassenheit – sie könne sich nicht ständig nach Meinungsumfragen richten, Kritik gebe es schließlich immer, außerdem sei die Legislaturperiode noch lange nicht zu Ende. „Ich weiß, wohin ich will“, sagt sie dem Spiegel. „Es ist der Auftrag der Wähler an uns Politiker, über diese große Koalition nicht jeden Tag zu jammern, sondern zu sagen: Das ist unser Auftrag, und aus dem wollen wir jetzt das Beste machen.“

Merkel gibt sich als pragmatische, kühl berechnende, von sich selbst überzeugte Regierungschefin. Nun haben sich noch fast alle Bundeskanzler auf diese Art und Weise vor den Angriffen der Öffentlichkeit zu schützen versucht, es ist aber wohl kein Zufall, dass sie sich in diesem Punkt ausdrücklich auf ihren Förderer Helmut Kohl beruft. Im Sommerinterview von RTL auf den berühmten Kohl-Satz angesprochen, wonach die Hunde bellen, aber die Karawane weiterzieht, antwortet Merkel: „Er hat auch gesagt: Entscheidend ist, was hinten rauskommt. Und das würde ich auch unterschreiben.“

Bei allem demonstrativen Selbstbewusstsein – allein darauf verlassen, was hinten rauskommt, will sich die Kanzlerin dann doch nicht. Einige Attacken auf ihre Person, insbesondere aus den Reihen der Sozialdemokraten, weist sie demonstrativ zurück. Den Nostalgie-Anfall von SPD-Fraktionschef Peter Struck („Schröder wäre mir immer der liebere Kanzler“) konterte sie in ihren ersten beiden Interviews noch mit einer kurzen, trockenen Bemerkung („Aber jetzt ist es nun mal so: Die Bundeskanzlerin bin ich“). Auf die jüngste Kritik des SPD-Vorsitzenden Kurt Beck an der Unternehmensteuerreform, insbesondere an der Nettoentlastung für die Unternehmen von 5 Milliarden Euro, reagiert Merkel schon mit einem schwereren Geschütz – einem Machtwort. „Das ist unsere Grundlage, zu der wir stehen“, sagt Merkel zu den Eckpunkten der Reform im Spiegel. Auf die Frage, ob dies ihr Kanzlerwort sei, antwortet sie: „Mehr noch. Das ist das Wort der gesamten Führung der Koalition. Die Nettoentlastung ist wichtig, um unser Land wettbewerbsfähig zu machen.“

Merkel will den Erfolg der großen Koalition, das betont sie immer wieder. Aber falls die SPD glaubt, dieses Versprechen gelte für alle Zeiten, dann täuscht sie sich. „Wir verfolgen wie alle anderen Parteien auch die Programmarbeit der anderen mit Interesse“, erwähnt die Kanzlerin in ihrem jüngsten Interview beiläufig. „Ich habe mit Guido Westerwelle, Frau Künast und Herrn Kuhn regelmäßige Treffen, in denen wir uns austauschen.“

Liebesgrüße an die Sozialdemokraten lesen sich anders.