Permanente Krise

Die Bevölkerung der Stadt Bombay wird auf 18 Millionen Einwohner geschätzt. 80 Prozent haben sich im Lauf der vergangenen sechzig Jahre nördlich des historischen Zentrums angesiedelt. Das heißt: 52 Prozent leben illegal in Hüttensiedlungen entlang von Kanälen, Rohrleitungen und Eisenbahntrassen; oder sie hausen auf dem Gelände, das als Anflugschneise für Flugzeuge freigehalten wurde. Der alte Stadtkern besteht aus sieben Inseln, die im 19. Jahrhundert durch Aufschüttung miteinander verbunden wurden. Die zwei Eisenbahnstränge der Western Railways und Central Railways transportieren täglich eine Arbeitsbevölkerung von 2,5 und 3,2 Millionen hin und her. Mit 2.100 Zügen pro Tag, oft im Neun-Sekunden-Takt. Es ist das größte Eisenbahn-Nahverkehrsnetz der Welt in Bezug auf Transportkapazität und Benutzungsdichte.

Dass eine Stadt überlebt, die mit einer Infrastruktur für 3.5 Millionen Bewohner für fünfmal so viele aufkommen muss, kann man als kleines Wunder ansehen. Und dass sie dazu noch die dynamische Wirtschaftsmetropole des Landes ist, in der über den Hüttensiedlungen Geldmacht und der Glitter der Filmstadt in den Himmel ragen, berechtigt sie für den Schriftsteller Suketu Mehta, den Titel einer „Maximum City“ zu tragen.

Für Terror-Strategen, die eine Gesellschaft und Volkswirtschaft destabilisieren wollen, ist Bombay ein ideales Operationsfeld. Nirgends sonst ist es dank des Missverhältnisses zwischen Bevölkerungsgröße und Infrastruktur, dem Nebeneinander von Slums und wirtschaftlichen Schaltzentralen so einfach, eine Gesellschaft im Lebensnerv zu treffen. Doch Bombay ist eine Stadt, die in ihrer permanenten Existenzkrise gelernt hat, damit fertig zu werden. Sie hat in den vergangenen 13 Jahren sieben schwere Terroranschläge erlebt. Sie haben die Vitalität der Stadt nicht gebremst. Aber die Stadt ist auch nicht fähig gewesen, den Anschlägen Einhalt zu bieten oder ihnen den Nährboden zu entziehen. Und es gibt kein einziges Denkmal für die vielen Toten. BY