Ein Votum gegen die Gewalt

Beim G-8-Gipfel in Russland fordern die Teilnehmer in einer gemeinsamen Erklärung doch noch dazu auf, die Angriffe im Nahen Osten einzustellen

AUS MOSKAU KLAUS-HELGE DONATH

Nach stundenlangen Debatten haben sich die Staats- und Regierungschefs der G 8 auf eine gemeinsame Nahost-Erklärung geeinigt. Bundeskanzlerin Angela Merkel sagte dazu gestern beim Gipfel in St. Petersburg, damit habe die G 8 gezeigt: „Wir lassen uns nicht auseinander dividieren.“

Die Erklärung zeige, dass es die G 8 nicht zulassen würden, „das die terroristischen Kräfte und die, die sie unterstützen, ein Chaos anrichten“, sagte Merkel. Die Erklärung enthalte die Aufforderung, die Angriffe auf Israel einzustellen und die Geiseln freizulassen. Auch Israel werde zum Stopp seiner Angriffe aufgefordert. Es solle eine Beobachter- und Sicherheitsmission unter Leitung der Vereinten Nationen eingerichtet werden.

Die neue Eskalation der Gewalt in Nahost hatte zuvor die Differenzen innerhalb der G 8 deutlich zutage treten lassen. Während US-Präsident George W. Bush und der englische Premier Tony Blair die Verantwortlichen in Syrien und bei der radikal-islamischen Hisbollah ausmachten, übte Gastgeber Wladimir Putin scharfe Kritik am Vorgehen Israels: Ebenso inakzeptabel wie die Entführung israelischer Soldaten durch die Hisbollah sei der massive israelische Einsatz von Gewalt, sagte Putin. Er habe den Eindruck, Israel verfolge mit seiner Offensive auch noch andere Ziele als die Befreiung der gekidnappten Soldaten. Kritik an Israel äußerte auch Frankreichs Staatspräsident Jacques Chirac. Der Franzose plädierte für eine G-8-Erklärung, in der alle Konfliktparteien zur Mäßigung und Einstellung der Kampfhandlungen aufgefordert werden. Dem widersprach US-Außenministerin Condoleezza Rice: Ein Waffenstillstand im Nahen Osten wäre ein falsches Zeichen. Die Extremisten von Hisbollah und Hamas könnten ungehindert nach einem vorübergehenden Waffenstillstand Israel weiter mit Raketen beschießen. Washington fordere Israel aber auf, durch seine Maßnahmen die junge Demokratie im Libanon nicht zu untergraben.

Die gestrige Einigung kann nicht darüber hinweg täuschen, dass die Beziehungen zwischen Russland und den USA einen Tiefstand erreicht haben. Das Treffen zwischen Bush und Putin am Vorabend des Gipfels in Strelna bei Petersburg hatte bereits deutlich werden lassen, dass beide nicht nur bei der Bewertung der russischen Demokratie, sondern auch des Nahostkonfliktes gegensätzliche Positionen einnehmen.

Nach dem Wahlsieg der Hamas Anfang dieses Jahres lud Putin deren Vertreter demonstrativ zu Gesprächen nach Moskau ein und feierte deren Sieg schadenfroh „als ernsten Schlag gegen die amerikanischen Bemühungen in Nahost“. Der wirtschaftlich und international wieder erstarkende Kreml würde gerne die seit dem Untergang der UdSSR verlorene Rolle in der arabischen Welt zurückerobern. Erst kürzlich unterstrich Moskau dies durch das Bekenntnis, keiner „heiligen Allianz“ mehr angehören zu wollen. Dahinter verbarg sich die programmatische Aussage, den in den 90er-Jahren eingeschlagenen Weg der Integration in den Westen endgültig zu verlassen. Westliche Hoffnungen, Moskau könne nun Einfluss geltend machen und auf die Hamas beschwichtigend einwirken, sind jedoch verfrüht. Weder hat der Kreml zurzeit Interesse an einer Konfliktregulierung noch verfügt er über ausreichende Hebel. Für die Hamas ist Russland kein glaubwürdiger Partner, sondern eher ein „westliches Halbfertigprodukt“.

Für Angela Merkel war Petersburg der erste G-8-Gipfel als Bundeskanzlerin. Eine besondere Rolle Deutschlands bei der Konfliktregulierung im Nahen Osten lehnte die Kanzlerin ab, die sich unter den G-8-Männern ein wenig einsam zu fühlen schien. Heute feiert sie in Strelna ihren 52. Geburtstag.