Die Pole-Position ist futsch

Das Bochumer Schauspielhaus ist zwar eine Anstalt geworden, doch irgendwie fehlen die irren Theatermacher. Nach der ersten Spielzeit unter Elmar Goerden gibt es noch viel zu tun – fürs Image

VON PETER ORTMANN

Nachts streift ein Phantom durch das Bochumer Schauspielhaus. Es ist die Personifizierung der Mittelmäßigkeit. Für die einst wichtigste Bühne in NRW wird es nach der Sommerpause qualitativ um die Currywurst gehen, auch wenn Intendant Elmar Goerden in seiner ersten Spielzeit am Haus rund 173.00 Besucher gezählt haben will. In Umfragen hat die renommierte Bühne die Pole-Position verloren, zum wichtigen Berliner Theatertreffen wurde sie erst gar nicht eingeladen, trotz 26 Premieren.

Und die Konkurrenz in der Region nimmt zu. Im Essener Grillo strickt der neue Intendant Anselm Weber an einem jugendlichen Programm, mit dem er sich inzwischen bei der Kritik vor Bochum positioniert hat. In Düsseldorf startet mit Frauen-Power nach dem Sommer Amélie Niermeyer, um die in der selbst ernannten Theaterstadt wohl auch einmal gebuhlt worden war. Sie plant 25 Premieren für ihre erste programmatische „Ich und Ich“-Spielzeit. Das Auftaktwochenende beginnt mit „Othello, Venedigs Neger, einer Tragödie der Assimilation und Kathrin Rögglas „Junk Space“ als Deutsche Erstaufführung.

Goerdens Einstieg in Bochum war dagegen eher bieder, er mußte dazu viel Kritik einstecken. Der Schauspielintendant, der in einem bischöflichen altsprachlichen Jungengymnasium am Niederrhein aufgewachsen ist, hatte im vergangenen Herbst Ernsthaftigkeit versprochen und lieferte mit Peter Handkes „Die Stunde, da wir nichts voneinander wußten“ erst einmal Sprachlosigkeit. Auch Goethes „Iphigenie auf Tauris“ und Lessings Trauerspiel „Miss Sara Sampson“ blieben blass und nichtssagend – ein durchweg misslungener Auftakt. „Ich muss ein Stück nicht neu erfinden“, sagte Goerden damals, doch für die neue Spielzeit muss er sich fürs Image etwas Neues einfallen lassen, wenn er den alten Glanz an der Königsallee wieder aufpolieren will. Eine Anstalt (öffentlichen Rechts) ist sein Haus inzwischen, allein es fehlen vielleicht ein paar irre Theatermacher. Doch nicht alles war Makulatur. Gerade die alte Regie-Generation und der Nachwuchs lieferte in Bochum überzeugende Inszenierungen ab. Zum Beispiel „Die Zeit und das Zimmer“ von Botho Strauß, Regie Dieter Giesing und „Fisch um Fisch“ von Roland Schimmelpfennig, in der Regie der jungen Lisa Nielebock. Gelungen sind auch die von Goerden initiierte Improvisationsreihe „Die Boten“ und sein Projekt „Hauptschule in Bewegung“, bei dem Schüler mit jungen Regisseuren arbeiten.

Die Marketingmaschinerie dampfte besonders bei seiner Inszenierung der „Schändung“ von Botho Strauß – mit Bruno Ganz in der Hauptrolle. Doch die rohe Qual der römischen Edeltochter eines privilegierten Feldherrn, der ohne Regung nach dem Gotenschlachten auch seinen 25. Sohn als Asche in die heilige Vitrine stellt, kann nicht wirklich erschüttern, sie führt aber, wie es sein Vorgänger Matthias Hartmann oft schaffte, ins Besucher ziehende Fernsehen.

Mit Henrik Ibsens „Rosmersholm“ eröffnet der Intendant im September seine zweite Spielzeit im Bochumer Schauspielhaus. Daneben wird er bei Jon Fosses „Da kommt noch wer“ und der Uraufführung von Roland Schimmelpfennigs eigens für das Bochumer Ensemble entstehende Stück „Besuch bei dem Vater“ Regie führen. Bei „Da kommt noch wer“ will Goerden einen neuen Weg der Inszenierung beschreiten: Die Schauspieler sollen sich bereits fünf Monate lang mit ihren Rollen beschäftigen, bevor dann die dreiwöchigen Bühnenproben beginnen. Ob in der neuen Spielzeit dann endlich auch das Phantom im Bochumer Schauspielhaus wieder verschwindet, ist noch nicht sicher, bleibt aber zu hoffen.