Kein Land für Kleinkinder

Nirgendwo in Deutschland ist die Betreuung von Unter-Dreijährigen so schlecht wie in Nordrhein-Westfalen. Nur für jedes 35ste Kleinkind steht ein Platz in einer Kindertagesstätte zur Verfügung

VON NATALIE WIESMANN

In Nordrhein-Westfalen sind 97 Prozent der Eltern zu langjährigen Babypausen gezwungen. In keinem anderen Bundesland ist die Betreuungsquote der Unter-Dreijährigen so schlecht wie hier. Sie lag Ende 2005 bei 2,8 Prozent. Über den Bedarf gibt es nur Schätzungen – denn mehr Angebot würde auch mehr Nachfrage erzeugen, glauben die Experten. Nach einer Befragung des Institut Arbeit und Technik (IAT) von 2005 sind 90 Prozent aller befragten Mütter in Nordrhein-Westfalen an einer Erwerbsarbeit interessiert, aber nur etwa 55 Prozent hätten das Betreuungsproblem gelöst – notfalls mit Hilfe der Großmutter.

Der Ausbau der Kinderbetreuung geht auf ein Gesetz zurück, dass unter der rot-grünen Bundesregierung in Kraft getreten ist und jetzt von Bundesfamilienministerin Ursula von der Leyen (CDU) unterstützt wird. Die Kommunen sind verpflichtet, für alle Kinder unter drei Jahren ein Angebot zu machen, deren „Wohl nicht gesichert ist oder deren Eltern erwerbstätig sind.“ Die Definition ist vage. Konkreter ist die Ankündigung der Bundesfamilienministerin, bis zum Jahr 2010 für jedes fünfte Kind unter Drei einen Platz schaffen zu wollen.

Davon ist das Land Nordrhein-Westfalen noch sehr weit weg. Von 2,1 Prozent 2002 auf 2,8 Prozent Betreuungsquote heute muss als Stagnation bezeichnet werden. Länder wie Bayern, Baden-Württemberg und Niedersachen, die vor vier Jahren genauso schlecht da standen wie NRW, haben ihr Betreuungsangebot auf sieben Prozent ausgebaut. In Bremen hatte bereits 2002 jedes zehnte, in Hamburg jedes siebte Kleinkind einen Platz in einer Kindertagesstätte – in den neuen Bundesländern ist das Verhältnis für arbeitende Eltern bekanntlich noch günstiger. In Sachsen-Anhalt sind mehr als 50 Prozent der Kinder versorgt.

Warum ist in NRW in den vergangenen vier Jahren nichts passiert? „Das ist der Nachlass aus rot-grünen Zeiten“, verteidigt Christine Lüders, Sprecherin des Familienministeriums, die schwarz-gelbe Regierung. „Wir haben seit Amtsantritt bereits 1.000 neue Plätze geschaffen.“ Das Land versuche mit freien Trägern, Wohlfahrtsverbänden, Kommunen und Kirchen frei werdende Kindergartenplätze für Kleinkinder umzuwandeln. Ziel sei es, 70.000 Plätze zu schaffen, hatte CDU-Familienminister Armin Laschet bei seiner Amtsübernahme in Aussicht gestellt. „Außerdem wollen wir über die neuen Familienzentren mehr Tagesmütter gewinnen“, so Lüders.

Doch die Umwandlung der Plätze geht nur langsam vonstatten. Für die Ex-Familienministerin Birgit Fischer (SPD), in deren Amtszeit die schlechten Quoten fallen, auch ein Problem der Prioritätensetzung: „Wir haben uns immer darauf konzentriert, den Rechtsanspruch auf einen Kindergartenplatz zu erfüllen.“ Auch habe die damalige rot-grüne Landesregierung viel Geld in die Horte und den Ausbau der Ganztagsschulen gesteckt. „Die Unter-Dreijährigen-Betreuung ist zu kurz gekommen“, räumt sie ein. Dabei seien die Kindertagesstätten und auch zunehmend die konfessionellen Einrichtungen grundsätzlich bereit, ihre Tore für Kleinkinder zu öffnen. Oft hätten sie aber Probleme mit der Bewilligung durch die Behörden. „Es gibt da einen anderen Personalschlüssel“, so Fischer, „kleine Kinder brauchen mehr und andere Betreuung“.

Karin Esch, Mitarbeiterin des IAT, sieht die mangelnde Flexibilität des nordrhein-westfälischen Gesetzes über Tageseinrichtungen für Kinder (GTK) als Hauptursache des stagnierenden Ausbaus: „Eltern wollen ihr Kind auch mal nur zwei Tage abgeben, müssen aber dann für die volle Woche zahlen.“ (siehe Interview).