„Unterlagen vorenthalten“

ZEITGESCHICHTE Angehörige von Euthanasie-Opfern berichten von Recherchen voller Widerstände

■ 90, recherchiert seit 55 Jahren über das Schicksal seiner Mutter, die 1944 als 50-Jährige von den Nazis ermordet wurde.

taz: Herr Heinze, wann erfuhren Sie, dass die Nazis Ihre Mutter in der Nervenheilanstalt Hadamar ermordet hatten?

Helmut Heinze: Von dem Mord erfuhr ich zunächst gar nichts. Als ich im Sommer 1944 von der Front an die Heilanstalt schrieb, um zu fragen, wie es meiner Mutter ging, teilte man mir lediglich mit, dass sie vor einigen Monaten verstorben sei.

Und wann haben Sie mit der systematischen Recherche begonnen?

1958. Damals erfuhr ich aus der Zeitung, dass man den Nazi-Arzt Bodo Gorgaß, der auch meine Mutter ermordet hatte, aus der Haft entlassen und ihm eine Rente zugesprochen hatte.

Wie gestaltete sich die Recherche?

Als Sisyphus-Arbeit mit starken Widerständen. In der Verwaltung von Hadamar sagte man mir zum Beispiel zunächst, es gebe keine Akten, denn die Alliierten hätten sie beschlagnahmt. Ich beschwerte mich bei der Leitung, und daraufhin gab man mir plötzlich die Akten.

Was stand darin?

Der Rhythmus der Visiten und dass Minna Katharina Heinze an Grippe gestorben sei.

Haben Sie das geglaubt?

Nein. Später hat mir der einstige ärztliche Direktor von Hadamar gesagt, man habe nur wenige Pfennige für Verpflegung gehabt. Das hielten die Patienten sechs bis acht Monate durch. Dann waren sie so schwach, dass eine Erkältung reichte.

Man hat die Menschen verhungern lassen?

Ja. Und man hat durch Medikamente nachgeholfen.

Auch bei Ihrer Mutter?

Ich weiß es bis heute nicht. Ich habe noch mehrere Termine mit einem einstigen Gruppenleiter aus Hadamar gehabt, aber die Unterlagen hat er mir trotz seines Versprechens nicht gegeben. Irgendwann habe ich im Archiv Hamburg-Wandsbek einige Akten gefunden. Aber wichtige Blätter fehlen.

Sind Sie in der aktuellen „Euthanasie“-Ausstellung im Rathaus fündig geworden?

Da sind tatsächlich Unterlagen aufgetaucht, die ich nicht kenne und die meines Wissens auch nicht im Archiv gelegen haben. Wo können die gewesen sein? Und wer hat sie archiviert? Das werde ich bei der heutigen Veranstaltung fragen.  INTERVIEW: PS

Gespräch mit Helmut Heinze, Elisabeth Sukowski und Antje Kosemund als Angehörigen von Euthanasie-Opfern: 18 Uhr, Hamburg-Haus, Doormannsweg 12.

Die Ausstellung „Euthanasie“ ist noch bis 7. 2. im Rathaus zu sehen. Begleitprogramm: www.kz-gedenkstaette-neuengamme.de