ausgehen und rumstehen
: Zwischen Tattoos und Big-Eden-Klientel wieder versöhnt mit der Auszieh-Szene

Wir lassen uns das Feiern nicht verbieten! Ganz bestimmt nicht und erst recht nicht von einer Stadt voll Love-Parade-Touris, die einen mit Dialogen wie „Wär das nicht voll lustig, wenn du einen Studienplatz in Berlin kriegen würdest? Ich fänd das voll lustig!!“ – „Fänd ich auch voll lustig!“ ganz schön kirre machen können. Aber nicht mir mir. Freitag radelte ich über Schleichwege nach Mitte, um mir die Squeeze Box Party mit Gloria Viagra und Sherry Vine im White Trash anzugucken. Die haben sonst immer im Big Eden gefeiert, sind aber gerade umgezogen. Und um ehrlich zu sein, drängte sich der Gedanke auf, dass sie die alteingesessene Big-Eden-Klientel aus Versehen mit nach Mitte gelockt haben … – aber vielleicht waren das auch nur unschuldige, voll lustige Touristen, die sich da im dunklen Partykeller aneinander drängten und die tätowierten DJs bestaunten, whow, irres Berlin!

Bif Naked trat auf, das ist eine ebenfalls ganz zutätowierte kanadische Maus, die mit etwas Anfangsenthusiasmus noch nach Patti Smith klang. Aber schon beim dritten Stück hatte ich plötzlich Bonnie Tyler im Kopf und flüchtete. Bif Naked ist auch gerade irgendwo zur „Hottest female with tattoos“ gewählt worden – ob es auch „Hottest female with glasses“ gibt? Jedenfalls schneite ich schnell noch in einen neuen Club namens „Kubik“ an der Köpenicker Straße rein, der, wie mir die süße Betreiberin mit vor Begeisterung wie Sterne glänzenden Augen erklärte, einen „Lichtraum“ darstellt: Ehemalige weiße Plastik-Wassertanks, aufeinander geschachtelt, darin Glühbirnen, oben drüber nur der laue Nachthimmel, unten drunter etwas Beton, dazu ein DJ-Pult mit Elektro-Dance-Beats, steinerne Theke, fertig. Temporär begrenzt, natürlich, und mit der guten Belüftung eigentlich voll im Trend – wahrscheinlich werden bald eh alle Kneipen verboten, in denen man rauchen kann, und nur das Kubik bleibt stehen!

Von den gespenstisch in Grün illuminierten Tanks konnte man durch eine richtig schöne dunkle Drogenwiese ans Spreeufer spazieren und sich in Liegestühle fallen lassen. Außerdem gab’s echte Wasserklosetts: Dixie-Klos seien nicht in Frage gekommen, erklärte die Betreiberin, „wir sind drei Frauen!“, und die wissen schließlich, worauf es ankommt beim Müssen.

Am nächsten Tag wollte ich noch mehr süße Frauen und ging ins Wild West, dem White-Trash-Sommersidekick am Spreeufer, um „The Wild Rose Revue“ anzuschauen. Wobei mich bei der momentanen Burlesque-Schwemme die Vorstellung von noch mehr rotierendem Pasties fast schon gruselte. Aber weit gefehlt: endlich mal eine spitzenmäßig amüsante Show. Eine prima Jazz-Band begleitete live fast alle Nummern, die nette Russin-Schwedin Jewels schluckte nacheinander eine Blume, ein Schwert und einen auseinander gezogenen Kleiderbügel und steckte sich außerdem einen noch ganzen Kleiderbügel in ihr Zungenpiercing-Loch, um beim Strip ihre Klamotten dranzuhängen. Eine Geisha zog sich hinter einem Riesenfächer aus, eine osteuropäische Hula-Hoop-Professorin ließ gleichzeitig zehn Reifen kreisen, ich wurde richtig neidisch – seit einem Jahr versuche ich das mit nur einem ollen Reifen, ich weiß einfach nicht, was ich falsch mache! Fehlt mir die Disziplin in den Hüften?

Gordon W. führte durchs Programm und sang „Temptation“ und „Tabou“, zwar nicht wirklich croonermäßig, sondern eher schief, aber das machte auch gar nichts. Michelle Carr trug – kurz – einen Bikini, den man vor lauter Tattoos kaum erkennen konnte, Tallulah Freeway ist ohnehin die Propeller-Queen, und überhaupt, ich bin wieder komplett versöhnt mit der ganzen Auszieh-Szene. Macht bloß weiter so, Mädels. Auf dem Heimweg guckte ich nämlich noch ganz kurz ins West Germany, wo eine jammernde, schwarz gekleidete Jungsband die Stimmung einfach wegweinte. Dann schon lieber busty women! JENNI ZYLKA