Eine schnelle Bewegung von hier nach dort

AUFBRUCH K. O. Götz gehörte in den fünfziger Jahren zu den Künstlern, die die Fenster nach draußen weit öffneten. Die Neue Nationalgalerie zeigt zu seinem 100. Geburtstag nun eine schöne Werkschau, die gut zur Beschleunigung der Gegenwart passt

Vorne und Hinten, Aktiv und Passiv pulsieren und tauschen die Rollen

Er war kein junger Mann mehr, als er zu einem wichtigen Impulsgeber für die Kunst der Nachkriegszeit wurde. Karl Otto Götz, geboren am 22. Februar 1914, hatte schon Mal- und Ausstellungsverbot seiner abstrakten Bilder in der Nazizeit hinter sich, das Weiter-Experimentieren im Geheimen, sechs Jahre als Soldat und die Zerstörung seines Frühwerks bei der Bombardierung Dresdens, als er in den späten vierziger Jahren einen Neuanfang suchte.

Die Ausstellung, die die Neue Nationalgalerie Berlin ihm zu seinem 100. Geburtstag zusammen mit dem Museum Küppersmühle in Duisburg und dem Museum Wiesbaden widmet, vermittelt schon nach wenigen Schritten ein grandioses Gefühl für den Furor des Aufbruchs, der den Maler durch viele Jahrzehnte getragen hat. Fünf „Variationen über ein Thema“ von 1951 hängen „Junction – 3. 10. 1990“ gegenüber, im Titel auf den Tag genau datiert. Beide Arbeiten sind auf ein schwarzweißes Farbspektrum begrenzt: In den „Variationen“ glaubt man schwarze Flecken auf hellem Grund zu sehen, denen das Ausgreifen in Zipfeln, die Binnenzeichnung von Öffnungen, die man gleich als Augen, Nase, Mund und Ohr zu lesen beginnt, einen Rest von Figuren geben. Eigentlich liegt die helle Farbe über der dunklen, aber Vorne und Hinten, Aktiv und Passiv pulsieren und tauschen die Rollen.

Denn wie man etwas wahrnimmt, wie Farben und Formen Bedeutung annehmen, ist eines der Themen von K. O. Götz. In „Junction“, gut fünf Meter lang, ist schwarz auf weiß eine breite Farbbahn gezogen, wie ein hundertfach vergrößerter Pinselstrich, der im Weißen wedelt und sich wendet, aufprallt, zerstiebt, sich sammelt und weiterfließt. Es ist viel Raum in dieser Bewegung und großes Tempo. Es ist sowohl ein sekundenschnelles Ereignis als auch eine Erfahrung von monumentaler Weite und Leere, die in diesem Bild geronnen ist.

K. O. Götz gehörte in den fünfziger Jahren zu den Künstlern, die die Fenster nach draußen öffneten: zur Gruppe Cobra in Amsterdam, zum abstrakten Expressionismus und zum Action Painting in den USA. Informell wurde eine sogenannte „neue Richtung“ abstrakter Malerei genannt, für die Götz zusammen mit weiteren Malern Anerkennung fand. Ab 1959 lehrte er zwanzig Jahre lang an der Kunstakademie Düsseldorf; Sigmar Polke, Gerhard Richter, Gotthard Graubner gehörten zu seinen Schülern. So stellt die Nationalgalerie also auch einen der Pioniere aus, auf dessen Schultern die auch schon nicht mehr jungen Giganten der Gegenwart stehen.

Götz experimentierte mit den Malmitteln, den Farben, mit Lacken, malte mit breiten Rakeln, beschäftigte sich in den sechziger Jahren mit „elektronischer Malerei und ihrer Programmierbarkeit“. Zeit erfährt bei ihm eine vielfältige Artikulation. Im Hingewischten und Weggewischten etwa des Bildes „Bent“ von 1970 ist nicht nur die schnelle Bewegung von hier nach dort spürbar, auch als körperliche Aktion, sondern auch die Zeit davor und danach, die Konzentration und Anspannung der Vorbereitung und das Durchatmen später.

Seinen Bildern wohnt zwar auch viel vom Heroismus der Nachkriegsmoderne inne, jener großen Anstrengung, alle Bildkonventionen abzustreifen, die durch politische Instrumentalisierung ideologisch kontaminiert waren. Das ist nicht ohne Pathos, man sieht das. Interessant aber ist, dass die Bewegungen der Bilder auch ohne das Wissen um diesen Kontext funktionieren, mitreißen. Die Balance zwischen Spontaneität und Kontrolle, in der sich Götz immer von Neuem übte und als Meister erwies, sie bleibt auch in der heute gelebten Beschleunigung ein wünschenswertes Ziel.

KATRIN BETTINA MÜLLER

■ Neue Nationalgalerie, bis 2. März, Di–Fr 10–18 Uhr, Do bis 20 Uhr, Sa und So 11–18 Uhr