brechmitteleinsatz
: Ein verschleppter Skandal

Darf die Polizei mutmaßlichen Dealern Brechmittel einflößen, um schnell an verschluckte Drogenpäckchen zu kommen? In Berlin beantworten die Behörden diese Frage seit Jahren mit Ja. Erst nachdem der Europäische Gerichtshof die Methode für „inhuman und erniedrigend“ erklärt, reagiert der Berliner Polizeipräsident: Verdächtige bekommen „bis auf weiteres“ keinen Schlauch zwangsweise durch die Nase in den Magen gepresst. Dass der Behörde dieser Geistesblitz gestern kam, am Tag der taz-Anfrage, mag als seltsamer Zufall durchgehen. Der Skandal liegt woanders: Ein linker Senat hat jahrelang an einem Prozedere festgehalten, das für die Betroffenen demütigend, schmerzhaft und manchmal lebensgefährlich ist.

Kommentar von ULRICH SCHULTE

Für diese Verbohrtheit kommen drei Gründe infrage: Menschen zum Brechen zu zwingen spart Zeit, es spart Geld, vielleicht ist es aber auch nur zur Gewohnheit geworden. Alle drei Beweggründe verbieten sich von selbst. Bei allem Verständnis für Polizeibeamte, die mit ansehen müssen, wie Verdächtige das Corpus Delicti verschwinden lassen: Das Ziel, die Beweisaufnahme einen Tag schneller abzuschließen, rechtfertigt es nicht, Menschen Todesangst einzujagen. Das Ziel, eine Übernachtung im Krankenhaus auf Staatskosten zu vermeiden, rechtfertigt es nicht, Menschen Gewalt anzutun.

Und auch gegen Gewohnheit gibt es ein Mittel: Behörden sollten sich ab und zu vergewissern, welchen Auftrag sie von den BürgerInnen bekommen haben. Im Grundgesetz steht der einfache und unmissverständliche Satz: „Jeder hat das Recht auf Leben und körperliche Unversehrtheit.“ Dem Senat haftet nun der Makel an, eine fragwürdige Methode erst nach höchstrichterlicher Aufforderung gestoppt zu haben. Er hat geschlafen, ausgerechnet beim Thema Menschenrechte. Dabei ist dieses Politikfeld eines der wenigen, auf denen eine linke Regierung in Zeiten knapper Kassen punkten könnte – weil es (fast) kostenlos ist.