LESERINNENBRIEFE
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Die andere Hälfte der Wahrheit

■ betr.: „Traumziel im Pazifik“ u. a., taz Reise vom 25. 1. 14

Zwei große Artikel über touristische Traumziele im indischen Ozean, La Réunion und Rodrigues – wunderbar. Aber in einer Zeitung wie der taz sollten diese Inseln nicht erwähnt werden, ohne an eine weitere Insel zu erinnern, die ganz in der Nähe liegt: Diego Garcia auf dem Chagos-Archipel. „Früher galt Diego Garcia weltweit als schönstes unberührtes Atoll aller türkisblauen Ozeane“, schreibt Lindsey Collen in einem Artikel für die WRI (Das Zerbrochene Gewehr, Nr. 97, wri-irg.org/de/node/22624). „Das Volk, das dort seit 200 Jahren ansässig war, wurde betrogen, ausgehungert und letztendlich von den Inseln gedrängt … Aus Diego Garcia ist ein Atomstützpunkt geworden. Atom-U-Boote werden sogar dort gewartet, seit sie nach Demonstrationen in Italien von dort abgezogen worden sind. Der illegale Bombenangriff auf Bagdad mit dem orwellschen Namen ‚Shock and Awe‘ nutzte Diego Garcia als Trampolin für viele der B-52-Einsätze. Zivilisten wurden mitten in einer Werbung für das Feuerwerk von Rüstungen einfach ausgelöscht …“

Ich denke, wenn die Reise eures Korrespondenten von Air France mit einem Ticket unterstützt wurde, wie ihr freundlicherweise berichtet, sollte er auch wissen, dass ein Hintergedanke dabei sein könnte, nämlich zum Beispiel der, dass er mit schönen Artikeln die andere Hälfte der Wahrheit über diese Weltgegend vernebelt.

GERD BÜNTZLY, Herford

Es ist nicht genug

■ betr.: „Reise an den Ort der Vernichtung“ u. a., taz vom 28. 1. 14

Sehr dankbar bin ich der taz zu dem Gedenken zum 27. Januar. Doch warum ist es notwendig, dass auch junge Menschen heute an das Aushungern der Leningrader erinnert werden, an das fabrikmäßige Vernichten der Juden, der Roma und Sinti, an die mörderischen Taten der Wehrmacht, die mit irgendeiner Ehre absolut nichts mehr zu tun hatte? Es ist nicht genug, Trauer und Erschütterung in sich zuzulassen. Es ist nicht genug zu wissen, was die damals verbrochen haben, zugelassen haben, nicht verhindern wollten oder konnten. Das Wichtigste an unserem Erinnern ist doch zu begreifen: Was wirkt in uns Menschen und wohl auch speziell in uns deutschen Menschen, dass dieses Massenmorden geschehen konnte?

Wie zerbrechlich ist das dünne Eis der Menschlichkeit in uns? Ist diese Gedenkkultur nach dem Schema: „Wie fürchterlich war das damals, waren die damals“ nicht flach und arrogant, wenn sie uns heute nicht miteinbezieht? Gibt es in unserem heutigen Leben, in unserem so scheinbar sicheren Europa 2014, eine Nähe zu diesen Abgründen? Wenn an den europäischen Grenzen jährlich Hunderte verenden? Wenn unser Wirtschaftssystem durch Landraub und Roulette das Verhungern von vielen Millionen Menschen produziert? Wenn wir meinen, unser Leben immer militärischer „am Hindukusch“ verteidigen zu müssen?

Der russische Schriftsteller und damalige Rotarmist Daniil Granin hat im Bundestag gestern eine der richtigen Antworten gegeben: „Es überlebte, wer anderen damals half zu überleben.“ Es gibt also heute viel zu tun. PETER REIBISCH, Kiel

Der kühle Blick auf Unrecht fehlt

■ betr.: „Armee braucht klaren Friedensauftrag“, taz vom 28. 1. 14

Mit einem klaren Friedensauftrag für die Armee ist es nicht getan. Der Einsatz von Militär kann immer nur die allerletzte Lösung sein.

Die Außen- und die Entwicklungspolitik müssen sich endlich ändern und zivile Prozesse gefördert werden, Waffenlieferungen und -produktion geächtet sowie der Einsatz privater Söldnerarmeen eingeschränkt werden. Dazu gehört eine Überprüfung außenpolitischen Handelns ebenso wie die Einschränkung wirtschaftlicher Aktivitäten mit entsprechenden Regimes. Dazu gehört auch die Beendigung des Transfers militärischen Know-hows an Unrechtsstaaten – die sie dann am Ende möglicherweise gegen das eigene Volk wenden.

Über aller Außenpolitik steht nach wie vor die Priorität des Militärs, nicht die ziviler Akteure. Und auch die evangelische Kirche zieht offenbar den militaristischen Blick vor. In Afghanistan fehlte nie der klare Auftrag, es fehlt der kühle Blick auf das Unrecht, das unter dem Eindruck der Anschläge vom 11.September durch die USA über dieses Land und seine Bürger_innen gebracht wurde. Der Einsatz in Afghanistan war und bleibt ein Fehler, bei dem wir den rachsüchtigen USA gefolgt sind – mit offenen Augen blind und offenbar bereit, diese mit Lügen zu verteidigen – bis heute. JÖRG RUPP, Malsch

Musterbeispiel für andere Parteien

■ betr.: „Aufsteigerin im Außenamt“, taz vom 27. 1. 14

Ich freue mich sehr über die Berufung von Sawsan Chebli zur Sprecherin im Auswärtigen Amt. Derzeit holt die SPD in Sachen Interkulturalität das auf, was sie viele Jahre versäumt hat, und wird in der Personalpolitik zum Musterbeispiel für andere Parteien.Wenn sie noch inhaltlich ihre vielen Versprechen, wie die Einführung der doppelten Staatsbürgerschaft oder das kommunale Wahlrecht auch für Nicht-EU-BürgerInnen, einhalten würde, wäre sie integrationspolitische Spitzenreiterin unter den Parteien. Somit scheint derzeit die Grenze des Möglichen für die traditionsreiche SPD erreicht zu sein.

Um eines möchte ich aber gerade kritische Medien wie die taz bitten: Tappt bitte nicht mehr in die populäre „Othering“-Falle rein, wenn ihr über Menschen mit scheinbar „exotischem“ Hintergrund schreibt. Das übermäßige Hervorheben des muslimischen Glaubens von Frau Chebli kam schon fast als Zirkusattraktion rüber. Ein einfacher Satz hätte gereicht. ALI BAS, MdL, Düsseldorf