Janukowitsch lenkt ein

UKRAINE Regierung nimmt ihre umstrittenen Gesetze zurück und will den Vorwurf von Gewaltanwendung prüfen. Opposition fordert andere „Spielregeln“

AUS KIEW BERNHARD CLASEN

In einer Sondersitzung hat die Rada, das Parlament der Ukraine, am Dienstag die umstrittenen Gesetze vom 16. Januar, die die Freiheitsrechte weiter einschränken sollten, mit großer Mehrheit wieder zurückgenommen. Dem Parlamentsbeschluss waren intensive Verhandlungen von Opposition und Regierungsvertretern vorausgegangen.

Wenige Tage zuvor hatten die sogenannten diktatorischen Gesetze, die „Verleumdung im Internet“ und „Extremismus“ mit Freiheitsstrafen von bis zu drei Jahren geahndet sowie eine Sperrung von Internetseiten durch die staatliche Telekommunikationsbehörde ohne Gerichtsbeschluss erlaubt hätten, die Spannungen weiter eskalieren lassen.

Vor der Sondersitzung hatte der Premierminister des Landes, Mykola Asarow, Präsident Janukowitsch seinen Rücktritt angeboten, um damit nach eigenen Angaben eine politische Lösung des Konflikts zu ermöglichen. Am Nachmittag nahm Präsident Wiktor Janukowitsch das Rücktrittsgesuch an. Auch den Rücktritt der restlichen Regierung habe der Staatschef akzeptiert, teilte das Präsidialamt in Kiew am Dienstag auf seiner Website mit. Das Kabinett werde aber geschäftsführend im Amt bleiben, bis eine neue Regierung gebildet sei. Ob mit den Zugeständnissen eine friedliche Wende in dem Konflikt erreicht werden kann, blieb unklar. Oppositionsführer Vitali Klitschko sprach von einem ersten Schritt, sagte aber auch: „Wir müssen nicht nur die Regierung ändern, sondern die Spielregeln.“

Vertreter der Regierungspartei „Partei der Regionen“ machten derweil die Opposition dafür verantwortlich, dass man nach einem Nachfolger für Asarow in den eigenen Reihen suchen müsse. Die Opposition, so die Abgeordneten Nestor Shufrich und Vladimir Oliynik bei einer gemeinsamen Pressekonferenz im Kiewer Hotel National, verweigere sich der Verantwortung. Beide sagten eine umfassende Untersuchung aller Vorwürfe von Gewaltanwendung gegen Demonstranten zu. Man habe eine Kommission eingerichtet, die alle Angaben über vermisste Aktivisten genau überprüfen werde.

Gleichzeitig, so die Abgeordneten, seien aber auch Angehörige der Partei der Regionen Opfer von Terror und Gewalt. So seien auf seinem Mobiltelefon Morddrohungen eingegangen, sagte Shufrich. In jüngster Zeit häuften sich Drohungen gegen Verantwortliche und Aktive der Regierungspartei.

Dass sich die Partei der Regionen in Lemberg aufgelöst habe, zeige, so Shufrich und Oliynik, wie weit der Terror um sich gegriffen habe. „Wenn man mir eine Pistole an den Kopf halten würde, würde ich wohl auch den Austritt aus der Partei unterschreiben“, sagte Shufrich.

In einigen Punkten scheinen sich die beiden Seiten jedoch näherzukommen. So soll, wie von der Opposition gefordert, eine vom Parlament eingesetzte Kommission Vorschläge für eine neue Verfassung erarbeiten. Dabei geht es vor allem darum, die Vollmachten des Präsidenten zugunsten von Regierung und Parlament einzuschränken. Bis es dazu kommt, dürften jedoch noch Monate verstreichen.