IM TIERPARK
: Mutter und Bruder

Der Rüssel war haarnadelgroß

Ich hatte die Boulevardzeitung gelesen und wollte ihn auch sehen: das Elefantenbaby im Tierpark Friedrichsfelde. Ich stieg in meinen Corsa und stand bald vor einer Betonmauer. Ich hatte einen einladenden Zoo erwartet – mit einem pompösen Portal, manierierten Eisenzäunen, Raubtiergehegen im chinesischen Stil. Doch ich befand mich back in the GDR: Drei Einweiser bugsierten mich und meinen Corsa in die Parklücke. Vier Kontrolleure prüften meine Eintrittskarte.

Die ausgestellten Tiere waren weit, weit weg oder schliefen zusammengekauert in Erdkuhlen. In jedem Fall konnte man sie nicht erkennen. Sie waren Punkte am Horizont. Wären da nicht die Schilder an den schmucklosen Barrieren, die manchmal nicht einmal Zäune, sondern Wassergräben waren, dann hätte man sie zu Recht allesamt für Büffelschweingazellenmäuse gehalten. So war das in der GDR, sagt mein Freund aus Friedrichshain, als ich ihm von meiner Verwirrung erzähle. Alle waren gleich, klärt er mich auf, auch die Viecher im Zoo.

Ein paar Schweden hatte der Reiseführer missgeleitet. Sie suchten auf Eisbär komm raus nach Knut. Ich zuckte zuerst mit den Schultern, wies dann auf den neuen Elefanten Arcandor oder Bancor oder Killbill. Aber sie verstanden nur Bahnhof. Sie zogen von dannen, aber auch ich fand den neuen Elefanten nicht: Obwohl ich mich an den Zaun des Dickhäutergeheges drückte und in der Ferne elefantenähnliche Umrisse wahrnahm. Doch die waren alle größer als ein vierwöchiges Baby.

Später las ich wieder in der Zeitung – diesmal ein seriöses Westberliner Blatt: Mutter und Bruder von Dimas schützen das Balg vor Fremden. Ja, jetzt erinnere ich mich: Der haarnadelgroße Rüssel von Dimas blitzte unter meiner Wahrnehmungsschwelle sekundenkurz auf, zwei Elefantenkörper schoben sich aber stets davor: Mutter und Bruder. TIMO BERGER