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RIPPENSTÜCKE UND ASADO, MACHER UND TOURISTEN, KREUZKÖLLN UND KOMMERZWer jetzt kein Lokal aufmacht, baut gar nichts mehr

VON RENÉ HAMANN UND AMBROS WAIBEL

Essen gehen ist das neue Vorglühen, und je älter man wird, umso mehr ersetzt es den gewöhnlichen Barbesuch. Da es in der Boheme immer auch um Stil geht, nimmt man etwas Besonderes, das trotzdem in guter Preislage bleibt. Etwas ursprünglich Altmodisches, das beinahe vergessen war. Etwas, das nach Geschmack klingt, nach Distinktion schmeckt und bezahlbar bleibt. Etwas, das zur seltsamen Limonade passt, zum Biobier wie zur Weißweinschorle. Voilà, l’entrecôte.

Roland Barthes hat weiland über das Beefsteak geschrieben, wir schreiben über das Entrecote. Über den Niedergang der französischen Küche oder, sieht man es positiv, über die neue Kultur der studentischen und prekären Boheme. Uns fiel auf, dass es in Kreuzkölln ein neues Studentenessen gibt: Entrecote – ein großes, kurz gebratenes Stück Fleisch, ein Rippenstück, ein weiland Spitzensteak halt letztlich.

Im Lokal Major Grubert begannen wir unsere Recherche. Major Grubert ist der Name einer französischen Comicfigur, erfunden vom großen Zeichner Jean Giraud alias Moebius, dem Schöpfer von „Lieutenant Blueberry“; insofern passt es, dass die Bedienung einen französischen Akzent hat, in einer gelangweilten, fast arroganten Version. Die Webseite von Major Grubert führt auf eine Seite für „Aktuelle Reiseberichte für allein reisende Männer“; sehr irritierend. Werbung für Kindervergewaltigungstourismus? Herr/Frau Staatsanwalt, übernehmen Sie.

Das Lokal hat damit aber nichts zu tun. Es ist hübsch, man sitzt nett gedeckt draußen an der guten alten Pflügerstraße, die mit so viel Hype wohl auch nicht mehr gerechnet hatte – obwohl die Häuser in ihrem hinteren Teil, zwischen Reuter- und Nansenstraße, auf Pfählen stehen (Venedig!), weil hier mal ein Sumpf war. Was fehlte, waren ein Brotkorb und die gepflegte Frage nach dem Modus des Fleischs: blutig wie die Nacht oder medium wie Mitte? Durch geht jedenfalls gar nicht. Aber dafür war es ja günstig.

Aber wir waren nicht nur als Gastrokritiker hier. Dafür gibt es Webseiten wie Qype, von den Gastronomen so beliebt wie gefürchtet. Ja, die Demokratie. Jeder Schnösel kann Kritik üben. Wir waren auch gekommen, um über das Ur-Entrecote damals am Oranienplatz zu sprechen. Über Frauen und Familie. Über Essen und Schreiben. Fleisch und Verwertung. Angebot und Ansage. Die ganzen Trennungen und Zusammenhänge.

Unsere kritisch-altlinken, deutschen Gastroquellen sagten aus, dass der Trend zum Entrecote an den türkischen Metzgern liege, die diesen Fleischkönig von definitiv zu kurz abgehangenen, unschlagbar billig aus Holland rübergeholten Rinderhälften schneiden lassen – von ebenso billig beschäftigten Fleischern, was dann eben wiederum dazu führe, dass wir uns im „Major Grubert“ für lächerliche 11 Euro eine Menge wohlschmeckende Proteine in den Rachen stopfen konnten.

Bestätigung fand das bei unserer Latinconnection, die uns darauf aufmerksam machte, dass die Gemeinde Berlin auch deswegen so liebe, weil hier das unverzichtbare „Asado“, also ein „Ich bade in gegrilltem Fleisch“, unschlagbar günstig zu bekommen sei.

Warum auch nicht. Die neue Ausgehkultur der Zwanzigirgendwas ist halt nicht ökologisch korrekt. Der junge Internationalismus hier hat überhaupt etwas „Wir fahren in die DDR“-Mäßiges. Alles ist so absurd billig, hört man es aus den beflaumten Gesichtern in allen Sprachen trällern. Insofern haben wir auch kein Problem mehr, Kreuzkölln Kreuzkölln zu nennen. Weil Kreuzkölln genau das ist: eine Marke, die ihren Höhepunkt gerade knapp überschritten hat und nun sich in einem sanften, aber unaufhaltbaren Abstieg in den reinen Kommerz befindet. Wer jetzt kein Lokal aufmacht, baut hier gar nichts mehr, höchstens einen Frustjoint.

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