„Alle hier mögen St. Pauli“

Bei der antirassistischen Fußball-WM im italienischen Montecchio treffen auch Fans der verfeindeten Fußballvereine HSV und FC St. Pauli zusammen. Beim Turnier dabei ist auch „Abfahrt Bambule“, ein Team an der Schnittstelle zwischen Millerntor-Roar und geräumtem Bauwagenplatz

„Sie alle“, sagt Organisatorin Daniela Conti über grölende Fans, „gehören dazu. Deshalb muss ich das ja nicht mögen.“

aus MontecchioJan Freitag

Aus, aus, aus. Die WM ist aus! Vorbei, geschafft. Endlich! Jedoch: „Die wahre Weltmeisterschaft“, betont Daniela Conti, „findet jetzt bei uns statt.“ „Bei uns“, das meint Montecchio, eine kleinen Stadt zwischen Parma und Bologna, dort, wo Italien am heißesten ist. Hier läuft die Mondiali Antirazzisti, für linke Fußballer das Turnier des Jahres. Daniela Conti, die kleine Römerin mit der großen Ausstrahlung, ist seine wichtigste Organisatorin. Auch wenn sie das bestreitet. Die Mondiali seien „alle, die sich den Fußball zurückerobern“, sagt sie. Vom Kommerz des Profisports, von Big Mac und Blatter und Berlusconi.

Seit zehn Jahren findet das wohl alternativste aller Fußballturniere in dem Land statt, wo der Fußball am korruptesten scheint und die Politik besonders konfus. 150 ehrenamtliche Helfer, 3.000 Spieler und 2.000 Zaungäste sind dieses Jahr bei der antirassistischen Fußball-WM dabei. 204 Teams aus 25 Staaten, kicken gegen Rassismus und Konsumismus im Ligaalltag. Jeweils ein Drittel kommt aus Italien und Deutschland.

Besonders Hamburg ist stark vertreten. Ein halbes Dutzend Teams stammen von da, ganz zu schweigen von den zahllosen Gruppierungen aus aller Welt, die sich irgendwie über den FC St. Pauli definieren. Der Drittligist, meint auch Daniela Conti, ist hier eine Art kleinster gemeinsamer Nenner. „You‘re from Germany?“ fragt ein Spieler aus Luxemburg und stellt sofort fest: „Ah, St. Pauli!“ Hamburg ist kleiner, als man denkt.

„Alle hier mögen eigentlich St. Pauli“, sagt die 35-jährige Fan-Arbeiterin Conti mit bezauberndem Akzent. Abgesehen vielleicht von zwei Teams aus der Fanszene des HSV, die das erste Mal ihre geliebte Raute auf der Mondiali vertreten. „Schon komisch, dass die Blau-Weißen hier sind“ sagt Svend Tomczak von „Abfahrt Bambule“, einem Team an der Schnittstelle zwischen Millerntor-Roar und geräumtem Bauwagenplatz. „Aber es ist trotzdem gut, dass sie die Atmosphäre mal kennen lernen.“ Das alternative Klima, die Mischung aus Happening, Manifestation und Sport. Schon die Anwesenheit, heißt es, wirke entkrampfend, ob es sich nun um stinknormale Fußballfans oder um obszön maskuline Pauli-Fans handelt.

„HSV! Alte Sau! Steckt den Pimmel in Kakao!“ Der uralte Spottgesang hallt über den Marktplatz von Montecchio, als die Teilnehmer am Freitagabend wie jedes Jahr mit Bengalos und Fangesängen durch die pittoreske Innenstadt ziehen. In Hamburg hätte solch ein Spruch eines St. Paulianers womöglich für Ärger gesorgt. Hier aber, in der milden mediterranen Sommernacht, führt er zu beiderseitigem Gelächter. „Blaue Armee Fraktion“ heißt einer der beiden Vertreter des Bundesligisten und der Name allein spricht dafür, dass auch der HSV, der große Rivale des alternativ beleumundeten Stadtteilvereins St. Pauli, eine linkslastige Klientel besitzt. Bei Partizan Hannover gilt dasselbe für Niedersachsen.

Sie alle, die Neuankömmlinge und die Alteingesessenen der Mondiali, vereint vor allem eins: Die Weltsprache Fußball. Ein sportliches Esperanto, Kultur übergreifend und vorurteilslos. So wollen es die Organisatoren, ein italienisches Fanprojekt namens Progetto Ultrá und das regionale Geschichtsinstitut Istoreco, das die Partisanenbewegung der Region erforscht. Als irgendjemand von „Abfahrt Bambule“ ein Loblied auf den großen alten HSV-Spieler und Erfinder der „Bananenflanke“ Manni Kaltz zu singen beginnt, verschwimmen die Grenzen noch mehr.

Das gemischtgeschlechtliche Team vom Kiez hat die 1.300 Kilometer zum vierten Mal zurückgelegt. Damit gehört „Abfahrt Bambule“ nicht gerade zum alten Eisen, aber doch schon zu den bekannteren Gesichtern des riesigen Geländes. Andere Fans aus dem Umfeld des Kiezclubs, die „Outernationals“ oder „Ultrá St. Pauli“ gelten mit ihrer langjährigen Teilnahme schon fast als Urgesteine des Turniers. Es war 1997, als sich erstmals 80 Spieler und Spielerinnen aus acht Teams in der Nähe von Montecchio zur Mondiali trafen, und St. Pauli war schon damals mit dabei – zu einer Zeit, als Sexismus, Rassismus, Kommerz unter deutschen Fußballvereinen nur beim kleinen Emporkömmling vom Millerntor ein „Anti“ voran gestellt wurde.

Seither hat sich Einiges geändert, nicht nur die Größenordnung. Die WM hat sich in die gesamte Fanszene des Kontinents hineingefressen. Es gibt mehr Menschen und damit auch verschiedenere Ansichten von Fußballfanverhalten. Aber wenn sich Hardcore-Anhänger italienischer Clubs, Hamburger Ultras und besoffene Dänen im Testosterant genannten Festzelt mit freiem Oberkörper Grölduelle liefern, ist das für Daniela Conti nur Ausdruck der Vielfältigkeit des Fußballs. „Sie alle gehören dazu“, sagt sie mittags, als an gleicher Stelle nur Pasta statt Füße auf den Biertischen steht. „Deshalb muss ich das ja nicht mögen.“

Am Tag darauf, bei den Finalrunden, ist die vorige Nacht sowieso vergessen, ihre Länge allenfalls an der Zahl der Augenringe ablesbar und der Fußball wieder die Hauptbeschäftigung. Die Hamburger Teams sind an diesem Tag ohnehin fast komplett ausgeschieden. Einzig „Abfahrt Bambule“ hält die Fahne des Nordens noch eine weitere Runde hoch und scheitert auf einem der 17 Kleinfeldplätze furios gegen ein Budapester Migrantenteam, den späteren Sieger „African Stars“. Der Ärger darüber hält sich in Grenzen.

Schließlich geht es auf der Mondiali ohne allzu viel sportlichen Ehrgeiz zu. Gespielt wird ohne aufwändiges Regelgeflecht, gepfiffen werden nur gröbste Unsportlichkeiten, 70 Prozent der Teams mit Namen wie „Traktor DGB Nordhessen“, „Texas Anti-Border Patrol“, „Albania Rock‘n‘Roll“ oder „Humanitäre Aktion Schweiz“ kicken mit weiblicher Beteiligung. Das drosselt die Spieltemperatur bei 35 Grad im Schatten spürbar. Das Finale wird im Siebenmeterschießen entschieden, und wer am Ende als Sieger den lokalen Sportpark verlässt, den die kommunistische Bürgermeisterin kostenlos zur Verfügung stellt, ist eher unwichtig.

Wichtiger ist, die berüchtigte Szene der Ultra-Fans mit weniger hitzigen Anhängern, vor allem aber mit Migranten aus aller Welt zusammenzubringen, die ihre Staaten in der Regel vom Exil aus vertreten. Aus Afrika, Südamerika, Asien können meist keine Mannschaften anreisen, die Teilnahme scheitert an Visen und Geldmitteln.

Und natürlich geht es um Spaß. Aus diesem Gedanken heraus ist die Mondiali entstanden, als kleine Alternative zum Konsumismus des Profifußballs. Unkommerziell, alternativ, anders ist sie geblieben – klein nicht. Das Gelände ist rappelvoll mit Zelten und Ständen, Restaurants und Konzertbühnen, Diskussionspodien und Transparenten. „Football Unites, Racism Devides“ steht auf einem und davor spielt das Punkerteam „Gießen Asozial“ eines von insgesamt über 600 Mondiali-Matches gegen tätowierte Ultras aus der Region. Eine Kombination, die in Hamburg, Berlin, München sicher bürgerliches Unbehagen hervorriefe.

In Montecchio soll sie den Fußball vor dem Bösen bewahren. Und für fünf Tage im Juli klappt das sogar. Auch dank St. Pauli. Und dem HSV.