„Religionen sind anstrengend“

Ein Gespräch mit dem Braunschweiger Landesbischof Friedrich Weber über islamischen Religionsunterricht als Mittel der Aufklärung und die Notwendigkeit kultureller Selbstvergewisserung

von Friederike Gräff

taz: Bei einer Diskussion sagten Sie kürzlich, dass die Integration von Muslimen misslungen sei. Woran machen Sie das in dieser Allgemeinheit fest?

Landesbischof Friedrich Weber: Meine Aussage wurde da falsch wiedergegeben. Ich habe die verschiedenen Stufen der Zuwanderung beschrieben und deutlich gemacht, dass die erste Generation der Türken, die hierher gebeten wurde, in ihrem eigenen Zusammenhang geblieben ist und Sprachghettos bildete. Und dass sie von der hiesigen Seite als eine Gruppe betrachtet wurde, die sowieso nicht bleiben würde. Bei der dritten Generation ist das Problem meiner Beobachtung nach, dass der Durchstieg in Bildungsbereiche, die anspruchsvollere Arbeitsfelder eröffnen, nach wie vor sehr schwierig ist. Und dass hängt auch an mangelnder Sprachkompetenz. Es geht mir dabei nicht um Assimilation, sondern um Integration, bei der der eigene kulturelle Hintergrund mitgebracht wird und uns zur Bereicherung dient. Aber das erfolgt eben auch nicht.

Warum nicht?

Ich habe den Eindruck, dass der Reichtum, der in unterschiedlichen Kulturen liegt, nicht als solcher, sondern als Bedrohung empfunden wird. Bedrohung deswegen, weil man sich der eigenen Sache nicht hinreichend sicher ist oder sie nicht hinreichend wert zu schätzen weiß.

Braucht man also für eine gelungene Integration erst die Selbstvergewisserung der aufnehmenden Seite?

Sie müsste sich schon besser ihrer eigenen Wurzeln vergewissern. Und damit meine ich nicht nur die religiösen Wurzeln. Es sind die einfachsten Dinge, vom kulturellen Hintergrund bis hin zum Geschichtswissen, das stark ausgedünnt ist. Wir sind uns der Wurzeln oder der Bildungszusammenhänge bis hin zum Toleranz- oder Demokratiebegriff nicht sicher. Und was die religiöse Praxis anbelangt, wird ein Muslim oder eine Muslima, die genau Bescheid weiß über die religiösen Regeln, als überlegen empfunden, weil viele Christen bei uns mit der Konfirmation oder der Firmung den Höchststand des Wissens über ihren Glauben erreicht haben.

Sie haben einen islamischen Religionsunterricht an der Schule unter anderem deshalb als Integrationshilfe bezeichnet, weil er Distanz zum Islam schaffe. Sind Sie sich darin einig mit den islamischen Vertretern, die diesen Unterricht gestalten?

Ich glaube ja. Wobei das Problem darin liegt, dass der Staat keine klaren Ansprechpartner hat, mit denen er zum Beispiel Verfassungsfragen aushandeln kann und verhindert, dass man an Vereinigungen wie Milli Görüs gerät. Stattdessen werden Kulturvereine oder Elterninitiativen in die Gespräche einbezogen. Bei diesen Initiativen vor Ort wird ganz deutlich, dass sie möchten, dass der Unterricht dazu beiträgt, dass sich die Kinder ihrer Wurzeln vergewissern. Aber nicht als eine politische Kategorie. Das unterscheidet sie zum Beispiel von vielen Koranschulen. Religion muss auch kritisch reflektiert werden.

Auch die christliche?

Ja – das ist im Grunde der Sinn von Religionsunterricht an öffentlichen Schulen. Denn sonst könnte man sagen: Sollen doch die Kirchen ihn machen. Aber so muss er sich den Prinzipien eines ordentlichen Lehrfaches unterwerfen und somit auch kritische Distanzierung von seinen Zielen lehren. Nicht um sie zu destruieren, sondern um sie geläutert durch das Bad der Aufklärung zu betrachten.

Wie muss man sich ein solches Bad konkret vorstellen?

Da ist immer wieder die Frage, inwiefern Leiden verherrlicht wird, die Rolle der Frauen – das gilt für die muslimische in gleicher Weise – und die Frage, ob die alten Schöpfungsgeschichten mit dem Satz „Macht euch die Erde untertan“ zu einer Haltung der Ausbeutung geführt hat.

Innenminister Schäuble hat die von Ihnen erwähnte, vom Verfassungsschutz beobachtete Islamische Vereinigung Milli Görüs zum Islamgipfel eingeladen. Halten Sie das für einen Fehler?

Nein. Milli Görüs ist sicher keine kriminelle Organisation. Es hat eben immer wieder, und nicht nur an den Rändern, Zerfaserungen gegeben. Es ist sicher eine vorauslaufende Aktion, dass man auch zumindest problematische Gruppierungen in die Gespräche einbindet.

Sie haben sich für die Einführung islamischen Religionsunterrichts in Niedersachsen ausgesprochen. In Hamburg glaubt man dagegen, dass gerade der interreligiöse Unterricht für alle wichtig sei.

Man kann das machen. Das eine schließt das andere nicht aus. Ich meine aber, dass wir mit unserem Modell einen erstaunlich guten Weg gefunden haben. Ich erwarte von akademisch ausgebildeten Lehrern, dass sie – auch bei kritischer Distanz – als Christen, Juden oder Muslime im Unterricht erkennbar werden. Denn Religion, wenn sie Sinn haben soll, hat immer auch mit dem eigenen Leben zu tun.

Profitieren die Kirchen von der Wertschätzung des Religiösen, wie viele Muslime sie zeigen?

Es hat im Zusammenhang der Radikalisierung des Islam leider an den Rändern der Kirchen eine Bewegung gegeben, die sagte: Warum seid ihr nicht so klar und deutlich, wie man es von islamischen Fundamentalisten hört. Aber es gilt, die einfachen Lösungen, sei es Relativismus oder Fundamentalismus, auszuschließen. Religionen haben keine einfachen Lösungen. Sie sind anstrengend.